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Ein diverses Ensemble tanzt Lee Méirs „safe & sound“ im Radialsystem

© Dalia Castel

Tanzwochenende im Berliner Radialsystem: Schrei, wenn du kannst

Die israelische Choreografin Lee Méir zeigt ihre Arbeit „safe & sound“ zum Auftakt des langen Tanzwochenendes im Radialsystem.

Von Sandra Luzina

Tanz und Rhythmus sind aufs Innigste miteinander verbunden. Insofern scheint es banal zu sein, in einer Tanzperformance den Rhythmus selbst zum Thema zu machen. Die aus Israel stammende Choreografin Lee Méir will nun aber keinesfalls Perfomer:innen zeigen, die vom Groove gepackt werden. Ihr Tanzabend „safe & sound“ ist eher ein Experiment darüber, wie lange Tänzer:innen sich ohne erkennbaren Rhythmus bewegen können.

Die Premiere von „safe & sound“ sollte ursprünglich im Mai 2021 im HAU3 stattfinden, musste aber coronabedingt abgesagt werden. Zum Auftakt des langen Tanzwochenendes im Radialsystem wird das Stück nun erstmals vor Publikum gezeigt.

Die Bühne ist mit Second-Hand-Klamotten und Haushaltsgegenständen übersät. Die sechs Tänzer stolpern zunächst zwischen diesen Objekten herum und murmeln vor sich hin. Dann streifen einige von ihnen die langen Mäntel ab, sie picken sich Kleider oder Röcke vom Boden oder zwängen sich in eine Hose. Und wechseln später wieder ihr Outfit.

Diese Aus- und Anzieh-Szenen lassen sich noch nicht mal als modisches Statement verstehen. Auf Musik wird an diesem Abend verzichtet. Dafür setzen die Performer;innen ihre Stimme ein. Sie haben sogar mit einem Voice Coach gearbeitet. Damit liegt „safe & sound“ voll im Trend: Immer öfter werden in der freien Berliner Tanzszene vokale Ausdrucksmittel ausprobiert – meist ohne Vorkenntnisse und ganz ohne Hemmungen.

Vom Summen zum Gejaule

Lee Méir hat die Tänzer:innen aufgefordert, ihre eigenen Töne und Laute zu erzeugen. Das tun sie mit mal mehr, mal wenger Emphase. Diese stimmlichen Außerungen reichen mit leisen Summen bis zum lauten Gejaule und werden von der Choreografin wie Material behandelt.

Auf Wohlklang wird nicht geachtet und auch nicht auf die Artikulationen der anderen. Das steigert sich oft zu einer wahren Kakophonie, bei der alle wild durcheinander rennen und ihre Klamotten in die Luft werfen. Wenn die Performer:innen sich mal auf einen gleichbleibenden Rhythmus einigen, ist der von einer kaum zu unterbietenden Schlichtheit und wird bald wieder abgebrochen.

Angewandte Chaosforschung

Dem werden langatmige Repetitionen entgegengesetzt. Ein Schritt vor und zurück. Eine Wendung nach recht und nach links. Diese banalen Sequenzen werden nicht aufregender, wenn sie von vier Perfomer:innen ausgeführt werden. An Choreografie ist Lee Méir offenkundig kaum interessiert. Aber auch als angewandte Chaosforschung ist diese Performance eher ermüdend. Manchmal werden Tanzstile aus andere Kulturen angedeutet, doch auch das wird schnell wieder weggewischt. Noch nicht mal über kulturelle Aneignung lässt sich bei diesem Abend streiten.

Als wär’s ein Workshop

Die sechs Tänzer:innen haben alle einen unterschiedlichen Background. Man würde sich wünschen, dass dieses diverse Ensemble mal richtig loslegt und sich eine Jam Session liefert. Stattdessen hat man das Gefühl, bei einem Workshop zuzuschauen. „Slave to the Rhythm“ ist der Titel eines Dancefloor-Hits von Grace Jones aus den 1980er Jahren. Aber hier wird leider keiner zum Sklaven des Rhythmus.

Beim Tanzwochenende im Radialsystem werden noch zwei weitere Performances gezeigt. Die Berliner Choreografin Isabelle Schad hat zusammen mit dem französischen Künstler das Solo „Personne with Voice“ erarbeitet. Die Stimme spielt hier also auch eine Rolle. Das Choreografinnen-Duo Ana Laura Lozza und Bárbara Hang wird in „The rest of dance“ von der Schlagzeugerin Sara Neidorf begleitet. Vielleicht wird es ja doch noch ein ekstatischer Tanz in den Mai.

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