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Berlin-Ausstellungen: Techno, Tristesse, Tacheles

Drei eigenwillige Berlin-Ausstellungen im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie beschwören den Mythos.

Justine strahlt über das ganze Gesicht, als sie an diesem trüben Herbsttag 1991 durch die heruntergekommene Auguststraße in Mitte rennt. Das Mädchen aus London ist Teil der Berliner Kunst- und Hausbesetzerszene, die nach dem Mauerfall in der Spandauer Vorstadt ihre Nischen findet. „Der Himmel war dunkelgrau an jenem Tag“, erinnert sich Eva Otaño Ugarte, die diese Euphorie fotografisch festgehalten hat. Die gebürtige Baskin lebte damals selbst in der Straße, 200 Meter weiter, direkt gegenüber vom Kunsthaus KuLe. 1989 war die damals 25-Jährige als Touristin aus Bilbao in die geteilte Stadt gekommen. Den Fall der Mauer hat sie miterlebt und war von der Aufbruchsstimmung zwischen Alexanderplatz und Nordbahnhof so angetan, dass aus dem Urlaub ein Daueraufenthalt wurde. In ihrer Ausstellung „Berlin-Mitte, Underground 1991–1996“ (Adalbertstraße 79, bis 20. November, Mi/Do 15–21, Fr/Sa 15–24 Uhr) wird die Zeit jener „Jungen Wilden“ wieder lebendig. Die Kreuzberger Galerie ZeitZone, in der 24 Schwarz-Weiß-Fotografien von Otaño Ugarte gezeigt werden, ist einer von fünfzig Berliner Orten, die sich im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie mit urbanen Lebensvorstellungen auseinandersetzen.

Der vielbeschworene Mythos Berlins wurde in den Jahren unmittelbar nach der Wende geprägt. Es war ein Leben in Extremen: ohne Heizung oder Telefon, dafür mit Drogen und Rotkäppchen-Sekt. Die Fotografin hält solche Momente fest, die inzwischen unendlich lang her scheinen. Dabei sind keine zwanzig Jahre vergangen. Sie hätten damals nur in der Gegenwart gelebt, erinnert sich Otaño Ugarte und zeigt auf die Bilder: Partys im GoGo Club, Klaus Biesenbachs Kunst- Werke, Artisten von „La Fura dels Baus“ im Theatersaal, eine „R.A.M.M.“-Performance auf dem Schlossplatz. Ihre Rollei 35 Classic – kaum größer als eine Packung Zigaretten – trug sie immer bei sich. Den Apparat hatte sie günstig erstanden, bei einem Fotohändler in der Neuköllner Fuldastraße. Vier Mal wurde ihr die Kamera damals geklaut – sie kaufte jedes Mal eine neue. Mit ihr gelangen Otaño Ugarte intime Fotografien, die nur jemand machen konnte, der unmittelbar dabei war, als Teil der Szene zwischen Techno, Tristesse und Tacheles.

Ein Bild von 1991 zeigt den Bürgersteig vor dem Volkspark am Weinberg, darauf ein gemaltes Hakenkreuz. Auch daran erinnern ihre Aufnahmen: Die frühen Neunziger waren die Zeit rechtsextremer Übergriffe. Etwa siebzig Neonazis attackierten an einem Tag im Winter 1990/91 das von der Künstlerinitiative Tacheles besetzte Gebäude in der Oranienburger Straße. Mit Molotowcocktails griffen sie das „Café Zapata“ an, damals die einzige Bar in Mitte und immer voll. Der Maler Tom Sojka, „Tombo“ genannt, erlitt dabei schwerste Verbrennungen im Gesicht. Im Juni 2002 fand man ihn tot in seinem Atelier in der Linienstraße, er hatte sich erhängt.

Otaño Ugartes aufs Wesentliche reduzierte Bilder – fast alle im Format 24 x 30 Zentimeter zu Preisen von 280 bis 950 Euro – berühren auf eine eindringliche Weise. Und sie erzählen als aufwendige Silbergelatine-Prints genau wie als Inkjets mehr, als es zunächst den Anschein hat. Die strahlenden Blicke von Hausbesetzern in der Fehrbelliner Straße, die nach der Räumung des Geländes im Freien schlafen mussten, bevor sie in das Haus zurückkehren konnten. Der einsame Unbekannte im dunklen Mantel, der 1996 im Mauerpark steht und nachdenklich nach Westen schaut, in eine ungewisse Zukunft. Ein russischer Bühnenbildner in einem Hinterhof der Kleinen Hamburger Straße. In zerschlissenen Hosen sitzt er vor einer rauchenden Feuerstelle und schläft, den Kopf auf die Hand gestützt. „Berlin-Mitte“ zeigt einen Stadtteil, der für ein paar Jahre in der Luft zu hängen schien. Diesen Ausnahmezustand zwischen Mauerfall und Gentrifizierung hat Otaño Ugarte eingefangen.

Etwa 15 Jahre später hat sich in Mitte vieles verändert. Die Gegend um das Kunsthaus Tacheles haben schicke Restaurants, Agenturen und Berlin-Besucher fest im Griff. Das Nachtleben tobt hier zwar nach wie vor, ist aber durchorganisiert in Form von Pub-Crawls, Partytourismus und Prostitution. In der Ausstellung „Durch die Nacht“ zeigt Sebastian Klug, ein Endzwanziger aus München, in der Galerie Ina Köhler (Husemannstraße 27, bis 10. Januar 2011, Mi –Fr 11–18 Uhr, Sa 11–17 Uhr) seine Berlin-Eindrücke. Ab 2008 war er drei Jahre lang nachts mit seinem Handy unterwegs – in Bars, Clubs und Nachtbussen, auf Privatpartys, Brücken und dem Karneval der Kulturen. Seine Fotografien, mit einer Auflösung von zwei Megapixel festgehalten, sind körnig, verschwommen und unscharf. So wie man eben sieht nach einer durchzechten und durchtanzten Nacht. Die extremen Farbkontraste und das Bildrauschen lassen die Fotografien (Preise: 189–500 Euro für einen Leuchtkasten mit fünf Motiven) unwirklich erscheinen, wie Bilder aus einem Traum. Die niedrige Bildqualität seines Handys nutzt Klug, um eine eigene Ästhetik zu schaffen, die von ihrer Abstraktion und eingeschränkten Farbpalette lebt. So wie das Bild einer jungen Frau, die in einer Bar auf der Kastanienallee sitzt und einen Hund in den Arm nimmt. Vieles taucht mehrfach auf: Bierflaschen, Diskokugeln, leere Straßen, U-Bahnen und die pechschwarze Spree, auf der sich die Lichter spiegeln. Es dominieren Rot, Grün und Blau. Die fotografierten Personen sind meist nicht mehr als Phantome, schemenhaft tauchen sie aus dem Dunkel auf. DJs und Barkeeper, tanzende, schlafende, küssende Menschen. Der Handyfotograf ist Nachtschwärmer und Voyeur zugleich.

Einen anderen Zugang wählt Alan Luft. Der Kunstprofessor aus Wisconsin kommt seit einem Vierteljahrhundert nach Berlin und hat hier inzwischen mehr als 11 000 Aufnahmen gemacht. Das wunderbare Hotel Bogota am Kurfürstendamm präsentiert vierzig seiner Bilder in der Ausstellung „Portraits in Berlin“ (Schlüterstraße 45, bis 17. November, tägl. 11–23 Uhr). Die frühesten, wie das eines türkischen Jungen, der auf der Berliner Mauer sitzt, stammen von 1987. Andere, etwa das Foto eines albanischen Boxers, sind aus diesem Jahr. Den Amerikaner deutscher Abstammung reizen die verschiedenen Gesellschaftsgruppen innerhalb der Stadt. Er fotografiert Menschen in Schwarz-Weiß (Preise: 300–800 Euro) – zu Hause, am Arbeitsplatz und in den Straßen. Einen stolzen, Wasserpfeife rauchenden jungen Kurden im Wedding. Jahrmarktarbeiter aus der Ukraine, irakische Fußballspieler, litauische Hausbesetzer. Alan Luft zeigt Berlin als das, was es ist: eine internationale Metropole.

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