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Kultur: Terrorismus: Die Farbe des Geldes

Zwei Wochen sind seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vergangen. Allmählich kehrt der Alltag zurück.

Zwei Wochen sind seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vergangen. Allmählich kehrt der Alltag zurück. Geschäft ist wieder Geschäft, aber die Leute sind nicht richtig in Stimmung: Sechs Broadway-Shows wurden diese Woche abgesetzt. Die Zeitungen zeigen täglich viele Fotos von Ground Zero, hinzu kommen die Fernsehbilder, denen niemand entkommt. Wenigstens ist unsere Aufmerksamkeit endlich vom sommerlichen Sex-Skandal um Chandra Levy und von den Hai-Attacken abgelenkt - und vom Kennedy-Mord.

Warum Menschen zu Terroristen werden, ist uns schleierhaft. Der Wunsch, unsere Aufmerksamkeit zu erringen, ist bestenfalls einer davon. Auch gibt es individuelle Ursachen, die jemanden zum terroristischen Fußsoldaten oder zum Selbstmordattentäter werden lassen. Die Welt hält sie dennoch nicht für Psychopathen, die in eine Gummizelle gehören, da ihre Motive immer auch politischer, ökonomischer und weltanschaulicher Natur sind. Motive, die von vielen friedfertigen Menschen geteilt werden. Wer vom Terrorismus spricht, muss auch seine Anziehungskraft bedenken.

Ausgerechnet am 11. September recherchierte ich für ein Buch, in dem es um die rechten, regierungsfeindlichen Bewegungen in den USA geht. Obwohl die Extremisten der ersten und der dritten Welt kaum miteinander zu vergleichen sind, haben sie doch etwas gemeinsam: gewisse Zwänge, politische wie ökonomische. Bin Laden ist Millionär, aber Millionen von moslemischen Fundamentalisten haben nichts zu beißen. Sie haben höchstens Zugang zu Zeitschriften, zum Fernsehen und zu Filmbildern aus der westlichen Welt, deren Wohlstand und Oberflächlichkeit eine Mischung aus Eifersucht, Ressentiment, Angst und Wut hervorruft. Eifersucht und Ressentiment rühren daher, diese satanischen Lebensart für sich selbst kaum in Anspruch nehmen zu können. Die Angst hat damit zu tun, dass man die wirtschaftlichen und politischen Ursachen für den eigenen Mangel nicht versteht. Das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden, verletzt den Stolz und das Selbstbewusstsein: So gedeiht der Zorn.

Die Präsenz des Bildes vom Westen und die gleichzeitige Distanz zu ihm bringt die Menschen in Rage. Die Armen in Amerika sind in der Coca-Cola-Reklame nicht zu sehen; auch die amerikanische Religiosität, die hier mehr als in jeder anderen Industrienation verbreitet ist, taucht auf der Kinoleinwand neben Julia Roberts nicht auf. In Zentralafrika gibt es weniger Terrorismus als in der arabischen Welt, weil letztere ein bisschen wohlhabender ist. Schon Machiavelli hat es formuliert: Der Mensch wird aufsässig, wenn er im Begriff ist aufzusteigen.

Die Unfreiheit in der moslemischen Welt hat nicht nur mit unterschiedlichem Lebensstil zu tun, sondern auch mit der amerikanischen Politik. Diese hat - von Syrien bis Indonesien - Monarchen und Diktatoren unterstützt, die sich das eigene Staatsvermögen unter den Nagel gerissen haben. Dabei waren diese Herrscher so clever, den Zorn ihrer unterdrückten Völker von sich selbst auf die USA umzulenken. Und Amerika war so dumm oder so arrogant, nichts dagegen zu unternehmen und den Despoten weiter den Rücken freizuhalten. Für den Mittleren Osten gab es im Golfkrieg darüber hinaus eine unselige Verkettung von worst-case-Szenarios. Ganz oben auf Bin Ladens Liste steht die Militärpräsenz der Amerikaner, die den arabischen Stolz zutiefst kränkt. Zweitens die Sanktionen gegen Irak, die wenig dazu beigetragen haben, um Saddam Husseins Macht zu schwächen aber viel dazu, um der Bevölkerung Krankheit, Hunger und Tod zu bringen. Und drittens auf Bin Ladens Anklage-Liste: Amerikas Unterstützung für Israel.

Ich habe das biblische Verdikt, dass die Sünden der Väter die Söhne heimsuchen werden, immer für grausam gehalten. Es beleidigt meinen westlichen Sinn für Individualismus und Mobilität. Aber es scheint hier doch im Spiel zu sein: Das Cowboytum von Papa Bush ist auf seinen Nachkommen übergegangen. Was würde Al Gore als Präsident jetzt eigentlich tun?

Allen westlichen Religionen ist ein tribalistischer Aspekt eigen: Mit Gottes Segen kämpfen "wir" gegen die Agenten des Satans. Wenn Unterdrückung, Erniedrigung und Angst mit diesem Aspekt in Berührung kommen, werden einige der Unterdrückten ihn dankbar aufgreifen. Denn das Stammesdenken besänftigt, richtet den Stolz wieder auf und verspricht Anweisungen zu wirksamem Handeln.

Eine solche Betrachtung der Angelegenheit legt als langfristige Lösung des Terrorismus-Problems das Freikauf-Modell nahe, das in Amerika selbst gut funktioniert hat. Der Dollar ist das beste Ablenkungsmanöver von der Gewalt. Ein bisschen Geld, eben so viel, um den Geknechteten eine Ahnung vom Reichtum zu verschaffen, wird die Armen in Rage bringen - bis sie ein richtiges Stück vom Kuchen abbekommen. Die religiösen Fanatiker, die sich im 17. Jahrhundert in Neu-England ansiedelten, hörten schnell auf, sich gegenseitig fertig zu machen, da die Vermehrung des Wohlstands mehr Zeit in Anspruch nahm. Spike Lee sagt, Hollywood sei nicht weiß oder schwarz, sondern grün - wie die Farbe des Dollars.

Einige verweisen auf das frühere Jugoslawien als Beispiel dafür, dass das Freikauf-Modell doch nicht funktioniert. Andere sagen, diese Methode funktioniere nur bei Menschen, die die westliche Denkungsart teilen, wie etwa die Bewohner des Nachkriegs-Europa oder viele Einwanderer in den USA. Auch Japan hatte wenig Erfahrung mit Demokratie, umso mehr aber mit Modernisierung und der teilweisen Aneignung fremder Kulturen. Bei großen Teilen der Bewohner von Dritte-Welt-Ländern ist all dies kaum der Fall. Wer die Freikauf-Methode dennoch dort anwendet und der Bevölkerung zu mehr Unabhängigkeit und mehr Grips verhilft, wird aber die örtlichen Herrscher verängstigen und einen komplizierten Konflikt provozieren. Ausgerechnet die von der USA unterstützten Despoten würden sich nämlich gegen Amerika wenden, sobald jenes anfinge, der Basis zu helfen.

Angenommen, der Freikauf-Plan ist wenigstens einen Versuch wert: Die USA müsste keine Generalüberholung ganzer Weltregionen in die Wege leiten, wie sie es als Siegermacht nach dem Zweiten Weltkrieg getan hat. Sie müsste vielmehr mit denjenigen vor Ort zusammenarbeiten, die an Demokratisierung und ökonomischer Entwicklung interessiert sind. So bestünde langfristig die Hoffnung, dass die heute 15-Jährigen es in sechs oder sieben Jahren weniger attraktiv finden werden, Giftgas in eine U-Bahn zu leiten oder die europäische Wasserversorgung zu sabotieren. Bleibt allerdings die Frage, was Amerika mit der Jahrzehnte alten Aufforderung tun soll, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und anderen nicht zu sagen, wo es langgeht. Egal wie freundlich und wie kooperativ sich Amerika gegenüber der Bevölkerung eines anderen Landes geben mag: Es wird nolens volens auch seine Weltanschauung, seine Denkweise und seine Ideale mitbringen.

Es wäre dumm von den USA, nur Technologie zu exportieren ohne, sagen wir, den begleitenden Glauben an die Zivilgesellschaft und an religiöse Toleranz. Denn so würde man potenziellen Terroristen genau das Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie jenen Lebensstil in die Luft jagen können, der den technischen Fortschritt und das gefährliche Werkzeug erst ermöglicht hat. Ohne die Flexibilität, die der Pluralismus verlangt, wären Millionen amerikanischer Immigranten wohl kaum gekommen und hätten ihre Begabungen, ihr Wissen und ihre Energie mitgebracht. Amerika kann nicht beides tun: Sich in anderen Ländern für Demokratie und Ökonomie engagieren und sich gleichzeitig aus den Angelegenheiten dieser Länder heraushalten. Es ist leichter, wütend zu sein, als an den komplizierten Details langfristiger Verbesserungen zu arbeiten.

Marcia Pally

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