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Kultur: "The Crossing": Ein Transitgast, der den Warteraum nicht mehr verlässt

Im Herzen Westeuropas, da, wo das Lebenstempo für den Rest des Kontinentes vorgegeben wird, wirken Filme wie "The Crossing" mehr als fremd. Ihre Poesie erscheint gewaltsam, und die Zeit, die sich in ihnen ausbreitet, wie geliehen.

Von Gregor Dotzauer

Im Herzen Westeuropas, da, wo das Lebenstempo für den Rest des Kontinentes vorgegeben wird, wirken Filme wie "The Crossing" mehr als fremd. Ihre Poesie erscheint gewaltsam, und die Zeit, die sich in ihnen ausbreitet, wie geliehen. Der deutsche Regisseur Fred Kelemen etwa scheut sich nicht, die düsteren, nicht vom Fleck kommenden Parabeln des Ungarn Béla Tarr nachzubuchstabieren. Und man könnte Nora Hoppes ersten langen Film für eine Stilübung auf den Spuren von Alexander Sokurov halten, jenes russischen Regisseurs, den sie so sehr bewundert, wenn ihr Stoff die fast mystische Bedächtigkeit des Erzählens nicht rechtfertigen würde. Die äußere Zeit und die innere des Protagonisten sind eins: Teil einer Wirklichkeit, der man auch in Deutschland überall begegnen könnte.

"The Crossing" - in Berlin in den Hackeschen Höfen zu sehen - ist ein Film über das Schweigen, das sich um Babak (Behrouz Vossoughi, auf dem Foto von Zephir Film links) angesammelt hat, einen im Brüsseler Exil lebenden Afghanen, der seit zwanzig Jahren ein Zimmer in der Pension Bienvenue bewohnt: ein Passagier ohne Ticket zur Weiterfahrt, ein Transitgast, der den Warteraum nicht mehr verlassen wird. Eine verdrängte Schuld nistet in der Leere seines Daseins, in das eines Morgens ein Landsmann, Sarban (Johan Leysen), hineinplatzt. Sarban gibt vor, einen Verwandten zu suchen. Aber man merkt schnell, dass er gekommen ist, um Babak aus seiner stumpfen Gegenwart zu erlösen - und vermutlich ist er auch nur Babaks Fantasie entsprungen.

Die in Berlin lebende Amerikanerin Nora Hoppe hat, obwohl sie Babaks Trauma erklärt, mit Psychologie wenig im Sinn - um so mehr mit Atmosphären. Es gibt bei ihr Manierismen wie Seifenblasen, fliegende Federn oder bewusste Unschärfen (Kamera: Walter Vanden Ende) - und ein bewunderswertes Gespür für Babaks von vergangenen Geräuschen umspülte Isolation. Ein Film von hier, von sehr weit her: Brüssel hat nie zuvor ausgesehen wie ein heruntergekommenes St. Petersburg.

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