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Tiefschwarze Lyrics. "Wir spielen Musik fernab von jeglicher Dienstleistung und von Radiowürstchen. Das erlebe ich als befreiend", sagt Klez.e-Sänger Tobis Siebert. (M.).

© A. Hornoff

Das neue Album von Klez.e: The Cure auf Ostdeutsch

Tiefschwarze Lyrics und majestätisch wabernde E-Gitarren und Synthies: „Desintegration“ ist Klez.es bisher düsterstes Album geworden - und ein politisches.

So ähnlich muss Euphorie klingen. Nach einem Gewitter, das sich auf eine sommerheiße Großstadt ergießt. „Die Wolken so tief und schwer und dicht wie ein Wald / Der Regen wie Perlen aus Glas zerbricht auf dem Asphalt“, singt Tobias Siebert, während sich düstere Synthesizerteppiche und verhallte Gitarrenakkorde aus dem Klangteppich eines Wolkenbruchs schälen. „Wenn es regnet, gehen die Kinder spielen / In den Trümmern vor dem Haus.“ „Drohnen“ heißt der Song der Berliner Band Klez.e. Drohnen, muss man wissen, fliegen bei Regen nicht. Ihre ferngesteuerten Vernichtungsschläge fallen aus. Und die Kinder von Aleppo, Raqqa oder Kabul können draußen spielen.

Einige Titel auf dem gerade erschienenen Album „Desintegration“ von Klez.e erinnern an Reportagen. Es sind schlaglichtartige Verdichtungen der Wirklichkeit, aus denen sich ein ziemlich unheilvolles Bild der Gegenwart ergibt. Schon der Titel deutet an, dass es sich bei der bislang besten Platte von Klez.e um eine Hommage handelt. „Desintegration“ ist die deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „Disintegration“, und so heißt eine Platte der britischen Depressionspopband The Cure, die 1989 herauskam.

Ein „e“ statt einem „i“, die Texte auf dem vierten Album der Gruppe sind konsequent auf Deutsch formuliert, ansonsten ist aber nahezu alles so wie bei The Cure in ihrer frühen, besonders düsteren Phase. E-Gitarren und Synthesizer wabern majestätisch, es gibt viel Hall, und die Stücke kommen kaum einmal über die Balladen- oder Midtempogeschwindigkeit heraus. Es geht um alle Formen der Kälte, „Desintegration“ steht für das Gefühl von Isolierung, Fremdheit und Nichtzugehörigkeit.

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Tiefschwarz sind die Lyrics, in denen Sänger Tobias Siebert mit ausdrucksloser Stimme „Mein Herz hat schon genug Löcher“ klagt und „So kalt arrogant wir erleben eine neue Distanz“ konstatiert – oder einfach bloß stöhnt: „Anti-de-pres-siva“. Gerne zitiert er auch Zeilen bewunderter Bands. Der Satz „Draußen vor den Mauern fängt es an sich zu bewegen“, mit dem die Platte beginnt, spielt auf den Blumfeld-Hit „Draußen auf Kaution“ aus dem 1994 herausgekommenen Album „L’état et moi“ an. Und „Gebt mir meine Dosis“ ist ebenfalls bei Blumfeld geklaut, aus dem Song „Dosis“ von 1992.

Es lohnt sich, genauer zuzuhören bei diesen Liedern, die mit Worten, Parolen und Zitaten spielen. Wer das tut, dem wird klar, dass hinter Melancholie und Mutlosigkeit noch ein anderes Gefühl steht: Wut. Tobias Siebert hat Desintegration in einem Interview mit dem „Zerfall des Sozialen“ übersetzt und gesagt: „Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft an diesem Punkt angekommen ist.“ Deshalb ist „Desintegration“ ein ziemlich politisches Album geworden, das die Zunahme von Radikalismus und Populismus, die Rückkehr von Rassismus und Nationalismus als Symptome eines gesellschaftlichen Zerfalls deutet.

Klez.e, die im Jahr 2002 gegründet wurden, haben sich schon immer am New Wave der achtziger Jahre orientiert, aber so düster wie jetzt auf „Desintegration“ haben sie noch nie geklungen. Tobias Siebert stammt aus Ost-Berlin, daran erinnert auch die Zeile: „Früher im Osten wollte ich im Wedding sein.“ Als die Mauer fiel, war er ein Teenager. Die Musik von The Cure, die von allen Arten der Verzweiflung erzählt, muss für ihn genau der richtige Soundtrack zum Untergang seines alten Staates gewesen sein.

Beliebter als die Gothrockband um den vogelnesthaarigen Sänger Robert Smith waren in Ostdeutschland damals nur Depeche Mode. Als Siebert zum ersten Mal das Cure-Album „Disintegration“ hörte, war es für ihn ein Erweckungserlebnis. Danach wollte er Musiker werden. Heute betreibt er das eigene Radiobuellebrueck-Studio in Kreuzberg, wo er als Produzent mit Bands und Musikern wie Enno Bunger, Marcus Wiebusch, Slut und Philip Boa gearbeitet hat. Acht Jahre hat es gedauert, bis ein neues Klez.e-Album entstand. In der Zwischenzeit war Siebert unter anderem mit seiner Einmannband And The Golden Choir beschäftigt, in der er Weird Folk, Progrock und Jazz mischt. „Wir spielen eine Musik fernab von jeglicher Dienstleistung und von Radiowünschen“, sagt er über Klez.e. „Das erlebe ich als befreiend und finde, es ist das Beste, was man als Band schaffen kann.“

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