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The Murder Capital im Musik und Frieden in Berlin.

© Live Nation GSA/Tapio Eichstädt

The Murder Capital in Berlin: Zwischen Sanftmut und Raserei

Die Dubliner Band The Murder Capital verknüpft im Musik & Frieden romantische Poesie mit Postpunk und existenzialistischer Pose. Eine Konzertkritik.

In keinem Land der Welt scheinen Punk und Poesie so verquickt wie in Irland. Einst festigten Schriftsteller wie James Joyce, Oscar Wilde und Samuel Beckett das kulturelle Ansehen der Insel. Heute sind Gruppen wie Girl Band oder Fontaines D.C. die Aushängeschilder für die irische Schroffheit. Im Fall der jüngsten Dubliner Vertreter The Murder Capital ist es der Romantiker John Keats, der als zentraler Bezugspunkt des eigenen Schaffens dient. Das gefeierte Debütalbum „When I Have Fears“, das die Band am Mittwoch im Musik & Frieden an der Partymeile an der Oberbaumbrücke vorstellte, ist nach einem seiner bekanntesten Gedichte benannt.

Auf Promofotos wirken die fünf Musiker wie eine Bande gut gekleideter viktorianischer Straßenschläger. Und der Eindruck täuscht nicht: Mit gelangweilter Mine und betont arroganten Blicken wird das Publikum zu Begrüßung einschüchternd gemustert. Die ruhigeren Klänge des Albums eröffnen das Konzert. Die in den Texten transportierte existenzialistische Pose wird am Merchandise-Stand unterstrichen: Neben Tonträgern und Textilien sind dort auch Notizbücher zu erwerben.

The Murder Capital aus Dublin.
The Murder Capital aus Dublin.

© Gavin Ovoca

Schon nach den ersten Songs umarmen sich die Musiker auf der Bühne, brüderlich stecken sie die Köpfe zusammen, haben Tränen in den Augen. Das Sujet ihres Schaffens teilen sie mit Keats: der Tod und die Vergänglichkeit. Mitten in den Aufnahmen des Debüts verlor eines der Bandmitglieder seine Mutter. Zudem erschütterte der Suizid eines engen Freundes das noch junge musikalische Quintett.

Ein Gefühl von Bedrohung und Kontrollverlust

Aus der demonstrativen Empfindlichkeit bricht aber immer wieder rohe Wut hervor. Vor allem Sänger James McGovern changiert zwischen Sanftmut und Raserei. „Ich mag Brutalismus, weil es nicht darum geht, schön zu sein“, erklärte er jüngst. Den Schellenkranz tauscht er in den Pausen gegen Zigaretten ein, deren Rauch effektvoll ins Scheinwerferlicht wabert.

Die Arrangements mäandern zwischen verzückenden Gitarrenmelodien, rastlosem Schlagzeugspiel und einem garstigen Bass. Es ist der gute, alte Leise- Laut-Trick, doch er funktioniert hervorragend. Ein Auf- und Abschwellen, das ein Gefühl von Bedrohung und Kontrollverlust vermittelt. Postpunk-Pathos, den so nur frustrierte Mittzwanziger schaffen können. Ein Finale mit zuckendem Stroboskop, McGovern betextet den alltäglichen Stumpfsinn dieser Tage lakonisch: „Lala La La Lala“. Der Rest ist ohrenbetäubendes Feedback. Ein angemessener ästhetischer Ausdruck für eine aus den Fugen geratene Welt.

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