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Frisch renoviert. Es nennt sich das Junge Berliner Staatstheater – in Lichtenberg.

© Theater an der Parkaue

Theater an der Parkaue: Wiedereröffnung: Großes für Groß und Klein

Die trauen sich was: Die Wiedereröffnung des Theaters an der Parkaue mit den Premieren „Unendliche Geschichte“ und „In dir schläft ein Tier“.

Ob sich Kultursenator Klaus Lederer wohl manchmal heimlich danach sehnt, ein bisschen wie Bastian Balthasar Bux zu sein? Immerhin kann der junge Held aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ ganze Reiche entstehen lassen, aus einem Sandkorn, nur mit der Kraft seiner Phantasie. Das wäre doch mal was. Ich wünsche mir ein Opernhaus! Plopp, da steht's. Und ein Museum. Und eine Bibliothek. Alles fertig und finanziert bis in Ewigkeit. Allerdings hat auch in Endes Märchenepos das Wünschen seine Nebenwirkungen und führt, unbedacht praktiziert, geradewegs in die geistige Umnachtung. Doch nicht so schön.

Vorerst hat Lederer sowieso irdischere Aufgaben zu erledigen, wie zum Beispiel: Banddurchschneiden. Einer der schöneren Momente im Kultursenatorenleben, denn wo zur feierlichen Eröffnung Bänder durchgeschnitten werden, da sind zuvor Gelder geflossen, und zumindest ein paar Kulturschaffende haben vorübergehend keinen Grund mehr, sich zu beklagen. So geschehen an der Parkaue, Berlins Jungem Staatstheater, das nach zweijähriger Umbauphase und temporärem Prater-Exil nun wieder ins frisch sanierte Haupthaus ziehen kann. Dass die Betriebsgenehmigung wegen eines mit dem Brandschutz verbändelten Problems erst einen Tag vor der großen Wiedereinweihung erteilt werden konnte, sei nur am Rande vermerkt. Von manchen Running Gags bekommt Berlin einfach nicht genug.

Klaus Lederer jedenfalls freut sich und betont, dass die Parkaue kein Kindertheater sei, „sondern ein ganz großes Theater für kleine Menschen“. Diesen kleinen Menschen ruft er dann noch zu, dass sie sich alle trauen sollen, eines Tages mal selbst auf einer Bühne zu stehen. Gute Idee, Schauspielermangel herrscht ja immer. Und, ach so, er hatte auch noch 21 Millionen Euro „irgendwo rumliegen“, Smiley. Weswegen in zwei Jahren gleich weiter gebaut werden kann. Das Theater ist ein Wanderzirkus, das Leben ist eine Baustelle.

„Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder“ prangt entsprechend auf einer riesigen Plane, mit der eingangs das Bühnenbild der ersten von zwei Eröffnungspremieren verdeckt wird, eben: „Die unendliche Geschichte“. Die spielt in der Regie von Volker Metzler zwar teilweise auch auf fahrbaren Gerüsten, muss aber glücklicherweise nicht im Zustand des Unfertigen verharren. Vielmehr wird die volle Power der aufgerüsteten Theatermaschinerie in der Bühne 1 in Betrieb gesetzt, um das Reich Phantásien mit seiner Kindlichen Kaiserin (Birgit Berthold) zu beglaubigen. Es stürmt, es schneit, die Nebel wallen, riesige Tücher segeln herab, gigantische Spiegel fahren an Zügen auf und ab – das hat schon Schaupracht. Ebenso die Kostüme! In tragbare Kissenberge, irre Papier-Kreationen, mehrstöckige Röcke und Fellkutten sind die Schauspielerinnen und Schauspieler gekleidet, etwa als Drache Fuchur oder Werwolf Gmork und was sich sonst nicht alles tummelt in Phantásien.

Lederer hatte auch noch 21 Millionen Euro „irgendwo rumliegen“

Die Inszenierung – mit zweieinhalb Stunden Länge einem Jungen Staatstheater würdig – verliert sich aber nie in Zauber und Effekten, das muss man ihr lassen. Vielmehr wird in der stringenten Fassung von Franziska Fuhlrott die Geschichte mitnehmend kitschfrei und grundmelancholisch erzählt. Phantásien, nur zur Erinnerung, wird ja bedroht vom „Nichts“, das alles verschlingt. Worin man eine Metapher für den grassierenden Materialismus und den damit einhergehenden Mangel an Fabuliervermögen sehen kann, oder auch eine prägnante Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen Bundespolitik, je nach Facon.

Jedenfalls zieht der junge Krieger Atréju (Tim Riedel) los, um den gigantischen Schwund zu stoppen. Muss auf seiner Odyssee aber erkennen, dass dies nur ein Menschenkind vermag. Es braucht Bastian Balthasar Bux, der von Jakob Kraze verkörpert wird. Ein 11-Jähriges Kind, gefangen im Körper eines gealterten Mannes, ein wirklich schöner Einfall. Bastian Balthasar rettet Phantásien, indem er sich einen neuen Namen für die Kindliche Kaiserin ausdenkt: „Mondenkind". Ja gut, Petra hätte tatsächlich nicht so poetisch geklungen. Danach aber geht der Fluch mit den Wünschen los, siehe oben.

Eine würdige Eröffnungspremiere allemal. Wie auch die zweite, die den schönen Titel trägt „In dir schläft ein Tier“, von Autor Oliver Schmaering stammt und die Frage aufwirft, weshalb Krankheitserreger eigentlich nicht öfter die Hauptdarsteller in Jugendstücken sind. Hier, auf der ebenfalls sanierten Bühne 2, tritt auf: Coryne, Königin der Bakterien. Die singt „Mysteries“ von Beth Gibbons und schimmert dabei ganz furchteinflößend im violetten Licht. Es geht um die rätselhafte Krankheit Diphtherie, verursacht vom „Corynebacterium diphtheriae“, vormals gefürchtet als „Würgeengel der Kinder“. Dank der Forscher Emil von Behring und Paul Ehrlich (Pionier auch im Kampf gegen die Syphilis!) konnte im 19. Jahrhundert jedoch ein Heilserum entwickelt werden.

Regisseurin Hanna Müller stimmt mit Schmaerings phantasmagorischem Entwurf eine Hymne auf die Wissenschaft und den rastlosen Forschertrieb an. Zwischen Tier-Chören, lyrischen Passagen und anderen surrealen Ausflügen wird mit einem tollen Ensemble (Erik Born, Franziska Krol, Andrej von Sallwitz, Mira Tscherne und Nina Maria Wyss) eine im Grunde sehr gradlinige Geschichte erzählt, die man Impfgegnern nicht empfehlen kann, allen anderen aber wärmstens. Wunderbar, wenn im Bühnenbild aus Rädern, die mit Glaskolben bestückt sind (Marie Gimpel) die Bakterienkönigin schlussendlich bedrohlich zischt: „Was, wenn wir uns an eure Waffen gewöhnen?“

Der Parkaue-Intendant Kay Wuschek, der seine aktuelle Spielzeit „Utopien Pioniere Zukunft“ überschrieben hat, beweist jedenfalls mal wieder, dass sein Haus sich was traut. Großes Theater, da hat der Kultursenator schon recht, kriegt man hier jedenfalls geboten.

„Die unendliche Geschichte“: 12. bis 16. Nov., 18. bis 21. Nov., weitere Vorstellungen im Dezember und Januar „In dir schläft ein Tier“: 12., 13. u. 15. November, weitere Vorstellungen im Januar

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