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Kultur: Theater: Deutschland, kastriert

Ein kulinarisches Fest sollte es werden. Einer der zauberhaftesten Kino-Klassiker, "Die Kinder des Olymp" von Marcel Carné und Jacques Prévert (Frankreich 1943 - 45), wollte der neue Oberspielleiter des Thalia verwandeln in Theater pur.

Ein kulinarisches Fest sollte es werden. Einer der zauberhaftesten Kino-Klassiker, "Die Kinder des Olymp" von Marcel Carné und Jacques Prévert (Frankreich 1943 - 45), wollte der neue Oberspielleiter des Thalia verwandeln in Theater pur. Die Geschichte des Pantomimen Baptiste , der treu geliebt wird von Nathalie, sich aber nur nach der flatterhaften Garance sehnt, die gleichfalls geliebt wird von dem Kriminellen, dem Schauspieler und dem Grafen. Das grausame Spiel der Liebe mit historischen Figuren vor dem historischen Hintergrund der Pariser Boulevard Theater. Ein Film über zwei Theaterlegenden, der selbst zur Legende wurde, mit Arletty, Pierre Brasseur und Jean-Louis Barrault. Und nun kommt Regisseur Andreas Kriegenburg, mit seiner Bilderlust, selbst als Pantomime ausgebildet, im erprobten Team mit Bühnenbildner Robert Ebeling, mit Musiker Laurent Simonetti und dem fabelhaften Thalia Orchester: glänzende Aussichten.

Es überwältigt die Bühne, es überwältigt die Fülle der Bilder und Aktionen, aber das Spiel mit den Theaterformen ärgert durch erhöhte Albernheit. Musik und Schauspieler sind zu laut, zu aufgekratzt. Hinnerk Schönemann als romantisch-grausamer Pantomime spielt sich zwar selbstverständlich ins Zentrum und Felix Knopp als keck-ehrgeiziger Schauspieler Frédéric kann neben ihm bestehen, doch ihre Gegenspielerinnen zeigen wenig Facetten. Bourleske, Musical, Kammerspiel, Melodrama und natürlich Pantomime mischen sich mit viel Kitsch. Abgesehen von drei, vier Momenten, wo Form und Inhalt sich trafen, wo ein Gefühl aufleuchtete, lief diese aufgedrehte Theatermaschinerie leer, machte aggressiv und langweilte gar.

Dieses bombastische Bühnenbild, eigentlich ist es genial: ein Bretterkokon, zusammengefügt wie ein Korbgeflecht.Die Bretter, die die Welt bedeuten, bildhaft umgesetzt, in eine weiße, surreale Traumwelt, durchleuchtet mit süßlichen Farben. Zu viel! Kriegenburg versucht mit allen Mitteln, das Stück zum Schweben zu bringen, einen Theatertraum zu gebären. Die Welt ist immer wieder verkehrt, die Schauspieler hängen, gaukeln immer wieder kopfüber an Seilen, auf Schaukeln. Es wird französisiert, dass man eine Französisch-Allergie bekommt, es wird gesungen, gebaßgeigt, geturnt und getümmelt und alles wirkt sehr deutsch und verstaubt expressionistisch.

Das ist ungerecht, doch am elften Tag nach dem Angriff auf Amerika möchte man so ein Theater nicht sehen, dass um sich selber kreischend kreist. Kriegenburg wollte das Theater aus den Angeln heben und ist damit umgekippt. Obwohl - zuletzt packt die Grausamkeit von Baptistes besessener Liebessehnsucht, die sich nicht schert um die Realität, um die gedemütigte Ehefrau - vielleicht fehlten ja auch nur zwei Wochen Probenzeit, um diese überdrehte Unternehmung zurück ins Herz des Theaters zu führen: Zur Geschichte, zum Gefühl.

Kriegenburgs gleichaltriger Kollege Armin Petras konnte kurz vorher im "Thalia in der Gaußstraße" mit seinem Ost-Stück "Fight City. Vineta" beweisen, dass es anders geht. Diese moderne Parabel über kleine, gescheiterte Leute in Frankfurt / Oder (veröffentlicht unter dem Pseudonym Fritz Kater) ist traurig und komisch, treffsicher ausgestattet mit Details ostdeutscher Wirklichkeit und entwickelt unter Petras Regie einen spröden, ganz eigenen Charme. Auf der fast leeren, höchst ungewöhnlich zu bespielenden Bühne von Susanne Schuboth verrücken die Schauspieler Requisiten, zwängen sich durch Türschlitze, klettern durch Dachfenster, schütten massenhaft Äpfel auf den Boden, stecken Langspielplatten zum Abspielen einfach in die Wand.

Das Schauspielerteam (Peter Kurth - mit einen unvergeßlichen Bauchtanz -, Milan Peschel, Andreas Pietschmann, Clemens Dönicke, Verena Reichhardt, Leila Abdullah und Fritzi Haberlandt) ist eingeschworen auf eine schnelle Sprech- und Spielweise: mal wie unbeteiligt, sich selbst beobachtend, dann wieder aufgeregt und intensiv erlebend. Es geht um einen älteren Ex-Boxer, der wieder boxen, um einen jungen Boxer, der siegen will und eine Turnerin liebt, die auf den Rücken geknallt ist. Keine DDR mehr, keine rhythmische Sportgymnastik und Fritzi Haberland darf ein neues Heimatlied singen, das es in sich hat, bevor sie mit dem gewalttätigen Außenseiter Mike ihren Boxerfreund betrügt. Es geht um Heimat, es geht um Deutschland, um Betrug und Verlust - und natürlich ist alles schwer symbolisch. Der alte Boxer verliert und dem jungen werden, nun ja, die Eier eingetreten. Das hatten wir doch schon mal: Deutschland - kastriert? Siehe Ernst Tollers "Hinkemann". Aber Autor und Regisseur Petras hebt das mit seinen tollen Schauspielern auf eine virtuose Ebene, spielt mit dem Spiel im Spiel. So wird Theater im Theater zu einer neuen Wirklichkeit.

Ulrike Kahle

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