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Nick

© Davids

Theater: Ich sang, also war ich

Schlecht singen muss man können, sie kann es gut: Desirée Nick spielt im Renaissance-Theater das Leben der Florence Foster Jenkins nach.

„Die Leute mögen behaupten, dass ich nicht singen kann. Aber niemand kann behaupten, ich hätte nicht gesungen.“ Klingt schön, oder? Schöner jedenfalls als eine Komposition von Mozart oder Verdi aus dem Munde jener Florence Foster Jenkins, die der Nachwelt ein paar ziemlich schräge Plattenaufnahmen, jede Menge Anekdoten und eben dieses trotzige Grabstein-Statement – ich sang, also war ich – hinterlassen hat. Glaubt man den Überlieferungen, dann waren die Konzerte der unerschütterlich selbstbewussten und sagenhaft talentfreien Sopranistin Kultveranstaltungen, bei denen die Zuhörer nicht selten aus dem Saal rennen mussten, weil sie sonst vor unterdrücktem Lachen geplatzt wären. Zweifelsohne ist das Leben dieser reichen amerikanischen Erbin ein dankbarer Bühnenstoff – die Künstlerbiografie als Don-Quixote-Ritt gegen das Scheitern, aber eben auch als tränenbeglaubigter Beleg dafür, dass Liebe stärker sein kann als hämische Kritiken und mangelnde Begabung.

Der britische Autor Stephen Temperley setzt der 1868 geborenen Grande Dame in seinem Stück „Souvenir“, das jetzt am Renaissance-Theater seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte, ein Denkmal zur Feier des beseelten Dilettantismus – vergleichbar jenem, das Tim Burton dem Filmemacher Ed Wood gewidmet hat. Das pointiert verdichtete Zwei-Personen-Stück wird aus der Sicht des Pianisten Cosme McMoon erzählt, der Madame bei ihren Konzerten begleitet und mit dem Publikum den Wissensvorsprung vor Foster Jenkins teilt – dass sie keinen Ton trifft. Cosme, von Lars Reichow sehr lässig als desillusionierter Bar-Pianist gegeben, der zu Beginn selbstvergessen „Crazy Rhythm“ spielt, führt mit mal sarkastischem, mal ehrfürchtigem Kommentar durch diese Geschichte einer Schieflage. Jenkins' Ego, erzählt er, habe die Ausmaße des Empire State Building, ihr Wahnsinn allerdings auch.

Désirée Nick spielt in der souveränen Regie des Renaissance-Routiniers Torsten Fischer diese exaltierte Trash-Diva, und selbstverständlich zieht sie dabei die eigene schillernde Biografie wie eine Schleppe am grellbunten Kostüm hinter sich her. Aber es gelingt ihr tatsächlich, die Jenkins im Sinne des Autors vor der Lächerlichkeit zu bewahren. Komisch ist diese Frau durchaus, wie eine Truman-Capote-Figur, bloß besitzt sie im Gegensatz zu heutigen Castingshow-Kandidaten eine Grandezza der Selbstüberschätzung – und die verkörpert die Nick nuancenreicher, als man es ihr zugetraut hätte. Dazu kommt: Sie singt sehr gut schlecht. Es genügt ja nicht, Arien einfach zu verpatzen, eine gewisse Höhe der Kunst, von der es aus es sich abstürzen lässt, muss schon gegeben sein. Nick bewährt sich als Mörderin des hohen F, auch als Schmerzensfrau des Opern-Pathos: Wenn sie, auf dem Höhepunkt ihrer kruden Karriere, nach einem Konzert in der Carnegie-Hall (das die Jenkins tatsächlich im Alter von 76 Jahren gegeben hat) einen Moment der Klarheit zu erleiden droht.

Noch lange klingt einem die katzenjaulige Arie der Königin der Nacht im Ohr. Das Renaissance-Theater dürfte damit einen Hit landen.

Wieder heute, sowie vom 2. bis 6. Juli

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