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Gunter Gabriel: Johnny Cash made in Germany singt über Deutschland.

© dpa

Theater im Schloss Neuhardenberg: Deutschland – Kneipen voller Qualm, Liebe auf der Alm

„Denk ich an Deutschland ...“ Im brandenburgischen Schloss Neuhardenberg ist eine wirtshäusige Theaterrevue mit Gunter Gabriel und Thomas Thieme zu sehen.

Deutschland ist – ja, was eigentlich? Da fällt einem spontan mehr ein, als man in Worte fassen könnte. Hören wir also kurz in das Lied von einem, der sich schon länger Gedanken über das Thema macht und es als Wanderbarde zwischen Timmendorfer Strand und Zugspitze zu verdichten weiß: „Deutschland ist Hermann Prey und Maffay, die Knef und Nina Hagen, die Kneipen voller Qualm, und Liebe auf der Alm.“ Nicht schlecht, so stimmt das wohl. Oder auch: „Deutschland ist ein Schäfer auf der Heide, und Pferde auf der Weide, und Mut nach vorn zu sehen, und Krisen überstehen.“ Das hätte man jetzt nicht schöner sagen oder gar singen können als der große Gunter Gabriel, der mit einer schwarz-rot-goldenen Gitarre im Arm auf der Bühne steht und einen Kumpel-Patriotismus mit menschlichem, leicht zerknautschtem Antlitz verkörpert.

In Neuhardenberg ist die Sommertheatersaison angebrochen, auf dem Programm steht die musikalisch-theatralische Republik-Durchquerung „Denk ich an Deutschland … Fallers Leben“. Was, man muss den Bezugreichtum an dieser Stelle sicherlich erklären, Heinrich Heines Nachtgedanken mit dem Nationalhymnen-Vater Hoffmann von Fallersleben verquirlt. Außerdem ist Fallersleben ein Stadtteil von Wolfsburg, wo die Produktion beim Movimentos-Festival Premiere feierte, aber das kann einem im Brandenburgischen ja wurscht sein. Es geht an diesem Abend jedenfalls darum, das deutsche Wesen zu besingen, zu bedenken und zu bespötteln.

Die kreativen Köpfe hinter der munteren Schmäh- und Schunkel-Kompilation sind die feinsinnige Schauspielerin und Regisseurin Julia von Sell und der Bühnen-Berserker Thomas Thieme, die zu Beginn erst mal eine Art Schlaflos-mit-Heine-Rap hinlegen. Im Rücken haben sie den Wolfsburger Männerchor 1952 e.V., in der Mitte sitzt Gunter Gabriel auf dem Hocker, der vom Heile-Welt-Orchester und zwei Background-Sängerinnen begleitet wird, deren Performance an die Eröffnung von Autohäusern erinnert. Country-Teufelskerl Gabriel beweist, warum man ihn den deutschen Johnny Cash nennt. Er spricht vom Vater, der „’ne Kugel aus Stalingrad“ und jede Menge Wut mit nach Hause brachte, er besingt die Freiheit als höchsten Wert, wobei jene Art gemeint sein muss, die man auf dem Bock eines Sattelschleppers verspüren kann, wenn die Kriechspur leer ist: „Oh du superschönes Germany.“

Sell und Thieme mixen dazu als DJs der Hoch- und Popkultur ein Deutschland-Album der Dalli-Dalli-Assoziationen. „Faust“-Monolog mit Schiller-Fetzen, Rilke-Lyrik mit der Todesfuge, und mittenrein knallen, so der Werbetext, „Sätze aus dem großen Redeschwall unserer Tage“, à la „Es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Kleidung“. Vom Volksgut zur Volksverblödung. Ein Potpourri aus Versen und Faselei. Die Frage ist: An wen richtet sich das eigentlich?

Eine „wirtshäusige Theaterrevue“ heißt der Abend im Untertitel, allerdings findet er ja nicht hinter den Butzenscheiben einer Landkaschemme statt, wo der äußere Rahmen kleinbürgerliche Entgrenzung verhieße. Sondern in einem Festzelt im Park des Schlosses Neuhardenberg, wo es sich die Angereisten nicht allzu gemütlich machen sollen. Es wird nicht nur Bier ausgeschenkt, sondern auch die Flasche mit den Geistern der Vergangenheit entkorkt. Chor-Mitglieder erzählen von der Fahrt auf dem Flüchtlingsschiff Antonio Delfino, das im Gegensatz zur Gustloff den russischen Torpedos entging. Julia von Sell verliest einen Brief ihres jüdischen Großvaters, der wegen Rassenschande im Gefängnis saß. Thomas Thieme spuckt der DDR hinterher und erzählt die Geschichte einer Frau, die vom eigenen Mann für die Stasi ausgespitzelt wurde. Häppchen-Historie als Stimmungs-Downer. Das Publikum reagiert mit subversiver Gelassenheit und verputzt Spanferkel-Braten und Würstchen.

Zwei Auftritte fallen aus dem Rahmen. Einmal der von Graf Gebhard von Hardenberg, der das Familiengut in Lietzen verwaltet. Seine Tante Margarete war eine Mitwisserin von Klaus Graf Stauffenberg, verheiratet mit Carl Hans Hardenberg, dem letzten Besitzer des Schlosses Neuhardenberg bis Kriegsende. Da scheint kurz eine faszinierende Familiengeschichte auf. Und Sigmund Jähn, der als erster deutscher Kosmonaut zu DDR-Ruhm gelangte, hat ebenfalls viel über den Ort des Geschehens zu erzählen, dessen Flugplatz mal Marxwalde hieß und Testgelände für Raketenantriebe war. Und für den Blick auf die Erde aus dem All hat man ja auch nicht alle Tage Augenzeugen. Aber es dauert dann nicht lange, und Gunter Gabriel beginnt wieder zu singen.

Am Ende heißt es „Komm unter meine Decke“, da dürfen alle wieder fröhlich sein, es feixen die Schauspieler, es swingen Graf und Kosmonaut. Der Abend sähe sich gern widerborstig, aber er ist durch und durch konsensfähig. Und damit sehr deutsch.

Wieder am heutigen 16. u. 17.8., 20 Uhr.

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