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Wendetheater. "Rosa Riese" von Heiner Müller. 1995.

© Hubert Link

Theater in der DDR: Spiel mir das Lied der Revolution

Das deutsche Theater war selten politisch wirksamer als nach der Wende. Eine Studie betrachtet die Bühnen im Osten – nur ein Manko bleibt. Die Kolumne Fundstücke.

Peter von Becker schreibt an dieser Stelle regelmäßig über literarische Fundstücke. Nächste Woche:  Gerrit Bartels über den Literaturbetrieb

Man stelle sich einmal vor, die heutige Pandemie hätte es schon Ende der 1980er Jahre gegeben. Gut möglich, dass Deutschland 2020 in diesem Fall (noch) nicht das dreißigjährige Jubiläum der Wiedervereinigung hätte feiern können.

Zwar war die DDR vor drei Jahrzehnten ökonomisch und ökologisch am Ende, doch wäre der Untergang womöglich eine Weile hinausgezögert worden. Denn mit Hinweis auf die Pandemie hätte die DDR-Staatsführung immerhin leichter die kritischen Volks-Versammlungen auf den Straßen und in den Kirchen untersagen und alle Theater schließen können.

Natürlich wäre es in einer Diktatur auch ein Missbrauch des Gesundheitsschutzes gewesen. Aber es hätte die wichtigsten Foren der erwachenden Freiheit geschlossen. Passend dazu der Titel eines schon früheren, umstrittenen Stücks des halb kritischen, halb staatstragenden DDR-Dramatikers Peter Hacks: „Die Sorgen und die Macht“.

Tatsächlich waren vor allem seit Michail Gorbatschows Glasnost-Politik viele Schauspielhäuser der DDR in den 80er Jahren zu Ventilen des kritischen Diskurses geworden. Anders als bei den Massenmedien Rundfunk, Fernsehen und Presse funktionierte die Zensur in den insgesamt 213 staatlichen Theatern in 80 Städten nicht mehr total, sprich totalitär.

Politisch wirksam und wachsam

Und nie, auch nicht in der Weimarer Republik oder nach 1945 in den Stücken und Aufführungen Bert Brechts, war Theater in Deutschland so unmittelbar politisch wirksam und wachsam wie zur Endzeit der DDR. Neben den Kirchen gerieten die Bühnen immer mehr zum Ersatz-Forum einer noch angestrebten idealsozialistischen Demokratie.

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Deshalb ist in diesem Jubiläumsherbst auch an eine kluge, materialreiche Studie zum Thema zu erinnern: Torben Ibs’ „Umbrüche und Aufbrüche. Transformationen des Theaters in Ostdeutschland zwischen 1989 und 1995“ (Verlag Theater der Zeit, Berlin 2016, 412 S., 22 €).Das Buch des Leipziger Dramaturgen beruht auf einer theaterwissenschaftlichen Dissertation, liest sich dennoch flüssig.

Ein vertiefendes Kapitel zur Ästhetik fehlt

Nicht ganz verständlich ist nur der Zeitraum mit dem Jahr 1989. Vielleicht war Ibs dadurch verführt, dass er gleich im Prolog den Dramatiker und Dichter Volker Braun zur Wiedereröffnung des renovierten Berliner Ensembles im Oktober 1989 zitiert („Eröffnen wir / Auch das Gespräch / Über die Wende im Land“) und daraus schließt: „Die Wende ist also eine Erfindung des Theaters ...“

Jene Wende begann freilich in den Nachwehen der Biermann-Ausbürgerung längst vor dem Mauerfall-Jahr: mit Inszenierungen etwa Alexander Langs, Thomas Langhoffs, Wolfgang Engels, des jungen Frank Castorf, von Heiner Müller, Christoph Hein, oder eben Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ 1988 am Berliner Maxim-Gorki-Theater.

Hierzu hätte noch ein vertiefendes Kapitel zu den ästhetischen Inhalten gutgetan, statt vornehmlich den kulturpolitisch-organisatorischen Strukturwandel auch nach der Wende zu beschreiben.

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