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"Phädra" neu inszeniert.

© Braun/drama-berlin.de

Theater: "Phädra" neu inszeniert - Wenn Statuen rasen

Das Komische im Tragischen: Torsten Fischer inszeniert „Phädra“ am Renaissance-Theater mit sagenhaft komisch wirkendem hohlen Pathos.

Da steht sie, die alte Schaubühne. Gekleidet in eine frisch gebügelte weiße Bluse, bereit, sofort zum Sterben niederzusinken – komm, süßer Tod! Sie trägt aber auch einen zerknitterten dunklen Anzug zum Dreitagebart, ringt die Hände und möchte sich am liebsten selbst „aus dem All verbannen“. Corinna Kirchhoff und Wolfgang Michael, verdiente Protagonisten der Ära Andrea Breth am Lehniner Platz und überhaupt Verkörperung dessen, was man gern Theaterurgesteine nennt, spielen Phädra und Theseus. Diese unseligen Eheleute, die sich irgendwo zwischen Scheintoden, Rankünen und Inzestverlangen abhandenkommen. Großes Drama. Allerdings befinden wir uns eben nicht in der Schaubühne, sondern am Renaissance-Theater. Ein bislang wenig tragödienaffines Haus, eigentlich Heimstatt des gehobenen Boulevards und des munteren Singspiels. Ganz neue Töne am Ernst-Reuter-Platz.

Augenscheinlich aber stand das Projekt zur Profilmaximierung hier unter keinem guten Stern. Der ursprünglich vorgesehene Regisseur Gisbert Jäkel musste im laufenden Probenprozess seinen Hut nehmen, wegen der berühmten künstlerischen Differenzen, wie zu hören war. Als Ersatzmann sprang Renaissance-Routinier Torsten Fischer ein, der die „Phädra“ von Jean Racine – ein heute auf deutschen Bühnen eher selten anzutreffendes Stück – schon einmal Anfang der 90er Jahre in Köln inszeniert hat. Vorerfahrung hin oder her, viel Zeit blieb Fischer nicht, im neuen eigenen Bühnenbild die fatale Familiengeschichte noch mal aufzurollen. Das muss man dem leidvollen Unterfangen sicher zugutehalten.

Eine hohe weiße Wand durchzieht nun die Bühne schräg, durch einen schmalen Spalt treten die Figuren auf oder belauern und belauschen sich bei ihren vielen Liebesbeichten. Räumlich ähnlich ging’s bei Regisseur Oliver Reese zu, der die „Phädra“ in Frankfurt vor einigen Jahren nach einhelliger Kritikermeinung als einer der wenigen Racine-Versteher wirksam wiederbelebt haben soll. Bei Fischer jedenfalls bleibt die Wand meist Klagemauer. Corinna Kirchoffs Phädra, passend blässlich angekränkelt, lamentiert ihr schon beim ersten Auftritt eine finale Müdigkeit entgegen, in der ungereimten Übersetzung von Simon Werle, die hier statt Schillers Versen gesprochen wird: „Alles bedrückt mich, quält mich“, und überhaupt: „Mein schuldbeladnes Leben dauert schon zu lang.“ Sie hat’s ja auch nicht leicht. Gatte Theseus ist für tot erklärt und sie muss als Marionette einer niederträchtigen Götterlaune ihr Herz ausgerechnet an den Stiefsohn Hippolytos verlieren. Jakob Diehl spielt ihn als nöligen Gefühlsverweigerer im Anzug ohne Hemd, eingangs mit seinem Erzieher Theramenes (Robert Gallinowski) balgend, nur aufblühend, wenn es um seine Gefühle für die schöne Prinzessin Arikia (Meriam Abbas) geht, die an Theseus’ Hof gefangen gehalten wird. Phädra ist über die Zurückweisung ihres „stammelnden Werbens“ durch den Buben tödlich gekränkt, weswegen die Geschichte auch einen blutigen Ausgang nimmt.

Aber was um alles in der Welt spielt Corinna Kirchhoff da? Mit einer Stimme, die entweder nach Grabkammer oder Geschmetter klingt, lässt sie es beben und wogen, ruft „Ich liiiiiieeeebe“ oder „Es ist zu spääääät!“. Sagenhaft komisch wirkt dieser hohle Pathos-Ton, der von Phädras intriganter Amme Önone – herausragend selbstbeherrscht von Susanne Barth gespielt – mit entsprechendem Augenrollen quittiert wird. Gelächter im Publikum. Auch Wolfgang Michael als von den Toten wiederkehrender König Theseus legt ein seltsames Verhalten an den Tag, presst seine Sätze besorgniserregend durch die Zähne oder greift im Jähzorn auf den vermeintlichen Mutterschänder Hippolytos wild in die Luft.

Es sind doch eigentlich gute Schauspieler, da muss ein Konzept dahinterstecken. Bloß welches? Sollen die Figuren als tönende Statuen vorgeführt werden, die ihre rasenden Gefühle behaupten müssen, weil sie in höfischen Pflichten und taktischen Planspielen erstarrt sind? Racine zielte mit seiner Griechen-Nachdichtung Ende des 17. Jahrhunderts ja noch recht unmittelbar auf die Gesellschaft des Sonnenkönigs. Fischers Inszenierung allerdings vermittelt nicht den Eindruck, als würde sie sich für die machtpolitische Dimension des Mythos sonderlich interessieren. Sie bleibt im Ungefähren, wie die heutigen Kostüme, die eine Zeitlosigkeit signalisieren, die sich ansonsten nie einlöst. Es hilft nichts, man muss an diesem Abend mit wenigen Gewissheiten Vorlieb nehmen. Eine lautet: Corinna Kirchhoff ist eine vorzügliche Komödiantin, auch wenn sie Tragödien spielt. Patrick Wildermann

wieder vom 1. bis 3. Februar

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