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Theater: Willkommen in Knautschland

Dealer versteckten Gras in ihrem Kinderwagen – die Dramatikerin Felicia Zeller lebt trotzdem gern in Neukölln. Ein Porträt

Eine Trainingsjacke mit goldenem Dreiblatt auf schwarzem Grund – kein anderes Kleidungsstück ist derzeit populärer auf den Straßen Neuköllns. Die Autorin Felicia Zeller findet in ihrem Buch „Einsam lehnen am Bekannten“ einen Grund dafür: Man müsse sportlich sein, um hier zu überleben.

Felicia Zeller selbst hat es auch im „I love Neukölln“-Shirt unbeschadet von der Hasenheide ins Café Rix geschafft. Gleich nebenan im Heimathafen Neukölln hat am Freitag eine Bühnenadaption von „Einsam lehnen…“ Premiere. Ihr schmales Gesicht mit der großen Hornbrille ist hinter der aufgeschlagenen Zeitung kaum zu entdecken. Doch ihr Notizbuch verrät sie, das ist immer dabei.

Noch gehört die gebürtige Stuttgarterin selbst zum kreativen Prekariat, das sich eingerichtet hat in Nord-Neukölln. Aber sie sitzt auf dem aufsteigenden Ast: Ihr Theaterstück „Gespräche mit Astronauten“ war jüngst für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert sowie zu den Berliner Autorentheatertagen ins Deutsche Theater eingeladen.

In dem Stück schikanieren überforderte Mütter ihre osteuropäischen Au-pair-Mädchen. Die jungen Frauen sind aus der „Mogelei“, der „Schlamparei“ oder aus „Stohlen“ zu Gast in „Knautschland“, heißt es im Zeller-Jargon. Für ihre Träume ist in den deutschen Familien kein Platz.

Auch Zeller selbst versucht seit einigen Monaten, Kind und Beruf zu vereinen. Gar nicht so einfach – doch ein Au-pair kommt nicht infrage. Für einen weiteren Mitmenschen ist ihr Zuhause zu klein.

Mit „Kaspar Häuser Meer“ gewann die Autorin bereits 2008 in Mülheim den Publikumspreis, wurde auf zahlreichen Bühnen und zuletzt im Gorki Studio in Berlin gespielt. In dem Stück überschwemmen die Wortkaskaden dreier Sozialarbeiterinnen die Zuschauer mit Protokoll-Sprache und Rechtfertigungen der eigenen, kaum zu bewältigenden Arbeit im Jugendamt. So überdreht „Kaspar Häuser Meer“ auch ist, es bildet doch Wirklichkeit ab. Zeller dachte, sie hätte es „völlig überzeichnet. Aber dann sitzen die Leute da und sagen: Genauso ist es. Und dann ist es gut, weil ich es echter als echt gemacht habe.“

Immer wieder wird der jungen deutschen Dramatik mangelnde Welthaltigkeit vorgeworfen. Für die Stücke der 1970 geborenen Zeller kann dies nicht gelten. Davon zeugt auch die Episode am Rande einer Aufführung ihres Stücks „Club der Enttäuschten“ über Arbeitslose in einer Beschäftigungsmaßnahme vom Amt. Ein Zuschauer steckte einem der sechs Schauspieler, die er für echte Langzeitarbeitslose hielt, nach dem Stück einen Zehner zu: Sie sollten mal was trinken gehen. Dieser „Wahrnehmungsfehler" amüsiert Felicia Zeller, und „dass es nur zehn Euro waren – für sechs Darsteller“.

Ob ihr Mittellose besonders nahestehen? „Ja, vielleicht. Aber ich habe auch reiche Freunde!“, antwortet Zeller in heiterem Ernst. Situationen, in denen Leute handeln wollen, sich bewegen oder aufsteigen, durch die Umstände des sozialen Systems jedoch wie ohnmächtig sind oder nicht mehr teilhaben können – diese Art von Stillstand interessiert die Autorin. Die Spannung ergibt sich schon dadurch, dass die Welt um sie herum rast.

Gemeinsam mit der Künstlerin Rigoletti, die sie beim Studium an der Ludwigsburger Filmakademie kennenlernte, dreht Felicia Zeller auch Kurzfilme und arbeitet an Multimedia-Projekten wie der virtuellen „Landessexklinik Baden-Württemberg“, eine ironische Reaktion auf zu viel Pornokram im Netz. Dass in Zellers Theaterstücken vor allem Frauen vorkommen, ist inhaltlich bedingt. Auffällig ist, dass die Autorin ihren Protagonisten eher Phänomene als einzelne Schicksale zugrunde legt. Es könne schon passieren, dass das Individuum auf der Strecke bleibt, gibt Zeller zu. „Aber das ist mir dann wirklich total wurst.“ Dafür wird der Typus, den die Figuren verkörpern, messerscharf skizziert.

Die Autorin ist eine Freundin der Verknappung. In „Einsam lehnen am Bekannten“, glossenhaften Erzählungen mit Titeln wie „Zunixkommen“ oder „Gespräche mit Laubhaufen über die Lethargie“ beschwört Zeller in wenigen Zeilen das Idyll eines Vorzeige-Freiburgs in der Fantasie einer Neuköllnerin herauf: „Ach, sagte ich, Freiburg. Da kann man mit der Straßenbahn direkt auf den Berg fahren und im Schnee herumstapfen, irgendwie auf der Höh!“ In der Bühnenfassung am Heimathafen Neukölln reicht die pure Nennung des Städtenamens aus, um das Bild eines utopischen Ortes, und sei es das einer grünen Ökohauptstadt, entstehen zu lassen.

Bei ihren virtuosen Sprachspielereien verlässt sich Felicia Zeller auch auf Assoziationen, bei denen sich Worte und Gedanken verselbstständigen. Die Sätze nehmen auf diese Weise überraschende und groteske Wendungen, ohne dass der Text aus den Fugen gerät.: „Scheißkunst, Scheißschriftstellerei, Scheißstatue, Scheißvielzuhohemiete!“ Diese Jonglagen haben ihr bereits Vergleiche mit der Sprachmacht Elfriede Jelineks eingebracht. Felicia Zeller achtet nicht nur auf den Inhalt von Sprache, sondern ebenso auf den Klang. Sinnstiftung ist auch eine Sache des Sounds.

Und der Bewegung, vor allem auf der Bühne. Felicia Zeller freut sich über den Einfall der Regisseurin Regina Gyr, sich die Dealer in dem von der Autorin „Rasenheide“ genannten Park wie Murmeltiere bewegen zu lassen. Zeller kann die Kleingangster vor ihrer Haustür ausgiebig studieren. Die Dealerei nimmt dort langsam überhand, einmal wurde ein Päckchen Gras in ihrem Kinderwagen versteckt. Deshalb schlägt Felicia Zeller ernsthaft und ironisch zugleich vor, „man sollte in die Hasenheide einen Kiosk bauen, auf dem groß draufsteht: Drogen. Dann ist da zwar eine lange Schlange, aber ansonsten ist der Park frei.“

„Einsam lehnen am Bekannten“, Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141. Premiere 24.6., wieder am 25. und 30.6. sowie am 1. und 2.7.

Cara Wuchold

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