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Kultur: Theaterherz

Abschied von Anneliese Römer/ Von Hermann Beil

Königin und Quasselstrippe, Grande Dame und Putzfrau, Hermia als Debüt in Bochum 1939 und Magda Schneider nach ihrer Rückkehr ans Schiller Theater 1993, Marthe Schwerdtlein und Die Sorge, Frau von Stein und Becketts Winnie, Mütter und Hexen, Cleopatra und Frau Brigitte, Jessica und Titania, Donna Elvira und Claire Zachanassian – diese Anneliese Römer konnte alles und ließ sich nicht beirren. Für mich war sie eine Berliner Schauspielerin, die nicht aus Berlin kam und die ihre schönste künstlerische Erfüllung oft fern von Berlin suchte und fand.

Vor 29 Jahren spielte sie mit herzgewinnender Direktheit die sterbende Kellnerin Sonja Wilke in Gerlind Reinshagens gleichnishaftem Stück „Himmel und Erde“. Claus Peymann, der mit ihr schon in Berlin, in „Kirschgarten“ und „Sonntags am Meer“, zusammengearbeitet hatte, holte sie für seine erste Stuttgarter Inszenierung, wohlwissend, welch schauspielerische Energie er mit ihr holte. Ein Kraftwerk, das alle auflud. Unvergesslich, wie Anneliese in der Voraufführung von „Himmel und Erde“ den Kontakt mit dem Publikum suchte und von einem Augenblick auf den anderen fröhlich triumphal losspielte: für das Stück und für die Rolle, nicht für sich. Auf ihren Schultern, mehr noch: auf ihrem Mundwerk, das sie wie so oft in den Dienst einer Uraufführung stellte, lag der Beginn einer gemeinsamen Theaterarbeit, die weite Kreise zog.

Ein Star als treue Ensemblespielerin. Sie wusste, dass Erfahrung kein Ruhepolster ist, dass Gegensätze beleben. Freilich ahnten wir damals bei unserem Stuttgarter Beginn nicht, welch lange Zeit, die vielleicht sogar eine Theaterepoche genannt werden kann, wir nun gemeinsam gehen würden. Schon gar nicht ahnten wir, welche Abenteuer und Bewährungen uns bevorstehen würden. Aber in Anneliese Römers Entschluss, von Berlin – dort mit dem Status einer gefeierten Staatsschauspielerin – weg nach Stuttgart zu gehen, steckte die Sehnsucht nach einem persönlichen Neubeginn, nach einem neuen Zusammenhang. Ihre Freude und Anteilnahme am Gelingen einer Arbeit hatten etwas Mitreißendes. Mag sein, dass diese Neugier sie immer wieder in Bewegung setzte und sie erst in viele Theaterstädte führte, um sie dann ihre künstlerische Heimat in jenem Stuttgarter Ensemble finden zu lassen, mit dem sie dann auch auf Wanderschaft nach Bochum und Wien ging.

Anneliese Römer war eine ganz und gar bürgerlich-unbürgerliche Künstlerin. Eleganz und Einfachheit, Komödiantik und Kunstverstand, hoher Ton und Berliner Schnauze, das beherrschte sie mühelos, aber es gab bei ihr keine Attitüde und keine Selbststilisierung. Die Römer machte sich nicht kostbar. Gelernt hatte sie dieses Theaterverständnis wohl in Bochum, sie gehörte nämlich zum legendären ersten Jahrgang der 1939 gegründeten Bochumer Schauspielschule. „Mindestens jede Woche einmal klärte uns Saladin Schmitt auf, was von den Nazis zu halten sei“, berichtete Anneliese. Nein, vormachen ließ sie sich nie etwas. Sie riskierte viel, aber Theatermoden ging sie nicht auf den Leim. Sie hatte, vielmehr – sie war ganz einfach ein großes Theaterherz.

Die Schauspielerin Anneliese Römer ist am Dienstag im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben. Hermann Beil, Dramaturg am Berliner Ensemble, hat mit ihr in Stuttgart, Bochum und Wien über Jahrzehnte zusammengearbeitet.

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