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Theaterkritik: Insel der verlorenen Liebe

Die Potsdamer Winteroper zeigt Georg Friedrich Händels Zauberstück "Alcina" im Schlosstheater des Neuen Palais’ Sanssouci.

Der Fußweg durch das nächtliche Dunkel bis zum entlegensten Zipfel des Schlossparks Sanssouci, die Lichter des Neuen Palais und ihr Widerschein im fallenden Regen: eine Kulisse, deren Echtheit das Auge nicht mehr verifizieren kann. Vielleicht ist man in ein Filmset geraten. Das ideale Entree für ein Zauberstück, wie sie die Potsdamer Winteroper mit Händels "Alcina" ins Schlosstheater bringt. Die Möglichkeit einer Insel der Liebe, die besinnungslos in einem Meer von Pflicht, Krieg und Tod treibt - in der hölzernen Theatermuschel mit ihrem roten Samtmantel lässt man sich davon sofort gefangen nehmen.

Und vergisst die eigene Unfreiheit so gerne wie Ruggiero, der eigentlich sein Leben in den Kreuzzügen lassen sollte, anstatt es nun in den Armen von Alcina zu genießen. Die Zauberin raubt den Männern nicht nur den Verstand, sondern, sobald sie ihrer überdrüssig ist, auch ihre menschliche Gestalt. Dann aber verliebt sie sich in Ruggiero, der seinerseits von der Verlobten ins alte Leben zurückgeholt werden soll. Ein intimes Liebesdrama könnte jetzt beginnen. Händel meint es damit ernst, er lässt die einzige minderjährige Figur seiner Oper - einen Jungen, der seinen verzauberten Vater sucht - gleich zu Beginn das Motto enthüllen: Die Liebe ist ein beunruhigendes Gefühl. Der Insel droht stets die Sturmflut. In ihren einsamen, jeder Zeitlichkeit entrückten Arien treiben Alcina und Ruggiero weit hinaus auf das dunkle Meer.

Strohhalme statt Sprünge ins tiefe Wasser

Leider weiß Regisseur Ingo Kerkhof wenig von der Fliehkraft der Erotik. Er lässt an Bettlaken schnüffeln und schäbige Tapetentüren öffnen, die mal um sich selbst rotieren, mal wie ein Bühnenvorhang aufschwingen: ohne System, ohne Leidenschaft. Die Idee, dass in dieser Zauberoper alle Akteure durch die Angst vor der Entzauberung unauflösbar miteinander verbunden sind, blitzt kurz auf. Sie wird ebenso wenig verfolgt wie eine Position zum "glücklichen Ende", das von der Opernkonvention erzwungen wurde. Die Aufmerksamkeit, die ihnen szenisch verwehrt blieb, hätten die Sänger zumindest musikalisch in vollem Maße verdient. Mit Andrea Marcon dirigiert ein Händel-Kenner die Kammerakademie Potsdam. Der hat hörbar Freude daran, die Aufführung vom Cembalo aus zu leiten, doch seine geteilte Aufmerksamkeit bekommt weder dem Orchester noch den Sängern gut. Die retten sich so gut sie können, greifen dabei aber manchmal nach Strohhalmen, wo ein Sprung in tiefes Wasser möglich gewesen wäre. Das treibt Händels Musik immer wieder an die Oberfläche. Dabei wäre das Schlosstheater doch der ideale Ort, mehr Intimität zu wagen und ihr auf der Spur zu bleiben: der Möglichkeit einer Insel.

Wieder am 7. und 8. November.

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