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Theatertreffen: Hugo und sein Boss

Sartre arbeitete sich in den "Schmutzigen Händen" am Stalinismus ab. Andreas Kriegenburg bringt das Werk beim Berliner Theatertreffen auf die Bühne.

Sartre auf dem Weg nach Stammheim, 1974. Das Bild hat sich eingeprägt ins bundesrepublikanische Gedächtnis: der Philosoph als Sympathisant. Ein Mythos, eine Farce. Der Ober-Existenzialist, Autor der „Geschlossenen Gesellschaft“, besucht den Supermacho Andreas Baader in der Isolationshaft. Stoff für ein nie geschriebenes Kammerspiel. Verdammt weit weg, verdammt lang her.

Zweites Theatertreffen-Gastspiel, wieder vom Thalia-Theater Hamburg, wieder, wie bei Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“, das Thema Terrorismus. Linker Terror. Jean-Paul Sartres „Schmutzige Hände“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg zeichnet sich vor allem durch eines aus. Sie will das alte (linke) Pathos, das Ideologische mit Gewalt austreiben. Der Regisseur Nicolas Stemann lässt in „Ulrike Maria Stuart“ Monsterrevue spielen, Kriegenburg entscheidet sich für den Boulevard. In beiden Fällen spürt man schmerzlich die Distanz der dreißig Jahre, die seit dem Deutschen Herbst, der gerade eine Art frostigen Frühling erlebt, vergangen sind. Beide Hamburger Aufführungen wirken, und das ist anno 2007 ihr gutes Recht, einigermaßen geschichtsvergessen. Sie lehnen die alten Betondiskurse ab – und landen bei einer gelangweilten Spaßguerilla.

Das Theater hat seine Terror-Figuren längst begnadigt, wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie Hugo, der junge Herr aus bürgerlichem Hause, in den „Schmutzigen Händen“ doch noch irgendwie zum Mörder wird. Er ist verzweifelt, lächerlich, ein Schwätzer mit liebenswürdigen Zügen. Ein schöner Zufall, dass der Schauspieler Hans Löw, Jahrgang ’76, ein Schlaks mit ausdrucksstarken Augen, in einer zweiten Rolle beim Theatertreffen zu sehen ist: als enthusiastischer Selbstmörder in den „Leiden des jungen Werther“ vom Berliner Maxim Gorki Theater.

Sartre arbeitete sich in den „Schmutzigen Händen“ am Stalinismus ab. Anfang der Fünfziger trat er in die KPF ein und 1956, nach der Unterdrückung des Ungarn-Aufstands, wieder aus. „Les mains sales“, 1948 in Paris uraufgeführt: ein dialektischer Dinosaurier von Theatertext, dem damals antikommunistische Tendenzen angehängt wurden. Dabei bleibt bei Sartre ein gefühlter apologetischer Rest, was die mörderischen Umdeutungsmanöver der Partei angeht, die ihre Säuberungskommandos mal in diese, mal in jene Richtung schickt. Nach dem Stammheim-Auftritt fühlte sich Sartre nicht ganz zu Unrecht gelinkt, er soll Baader später als „Arschloch“ bezeichnet haben.

Der Verräter von gestern ist heute ein Held, aber ein nützlicher Idiot ist immer ein nützlicher Idiot. Andreas Kriegenburgs „Schmutzige Hände“ (in der Neuübersetzung von Eva Groepler) sind ein seltsamer Zwitter. Das getäfelte Bühnenbild von Ricarda Beilharz erinnert in seinem billigen Pomp an die Machtzentralenarchitektur der DDR, während der Typ, der hier das Sagen hat ( im Auftrag der Partei soll Hugo ihn abknallen) wie Gerhard Schröder redet. Hoederer, so heißt Hugos Boss, jener eher klein gewachsene Hoederer, bei dem sich der hoch aufgeschossene Hugo als Privatsekretär einschleicht, ist bei dem Schauspieler Jörg Pose das Kanzler-Alphatier; eine Diktion wie ein Nussknacker, ein schon sichtlich von der Macht ermüdeter Pragmatiker.

Und der Zuschauer wird angesteckt von dieser Erschöpfung im Innern einer Machtzentrale. Anderthalb Stunden immer der gleiche flache Ton von Anmache und Anmaßung, Mikrofonakrobatik und andere Tricks aus dem Lehrbuch „Wie halte ich mir einen Text vom Leib, den ich blöd und altmodisch finde, aber das Thema ist doch irgendwie wichtig“.

Zwei Männer, zwei Frauen. Olga, Revolutionärin schon im Outfit (Trenchcoat, strenger Pagenkopf, schwarze Stiefel), kommt wiederum aus einer anderen Zeit. Paula Dombrowski glüht vor politischem Ernst und bricht am Ende in sich zusammen, weil sie Hugo liebt, nicht lieben darf, und weil sie ihn verliert. Jessica, Hugos schöne rotblonde Ehefrau, ist die interessanteste, intelligenteste Figur. Judith Hofmann versteht die Machtspielchen nicht, auch wenn sie sie durchschaut, sie will den Knoten lösen und beschleunigt die Katastrophe. Auch das ein Grundmuster dieser gratisfeministischen Terror-Diskurse auf dem Theater: Gewalt ist männlich, und wenn Frauen zu Terroristinnen werden, ahmen sie (bei Jelinek und Stemann) Mannsbilder nach.

Nach der Pause ein abrupter Wandel. Hans Löw drückt sein Rückgrat durch, lehnt die menschenverachtende Begnadigungsvariante ab, die die Partei ihm anbietet, stürzt sich in einen glühenden Monolog. Viel zu spät. Ein dramatischer Moment ohne Vorgeschichte. Erst haben sie einander totgequatscht. Und dann wird, peng, geschossen.

Olga, der Kampf geht weiter.

Rüdiger Schaper

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