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In Gesellschaft. Thomas Bernhard (1931–1989) ein Jahr vor seinem Tod, auf dem Wiener Graben fotografiert von Sepp Dreissinger, dessen Bernhard-Bilder bis 8. Mai in einer großen Ausstellung im Wiener Fotoforum West-Licht zu sehen sind.

© Sepp Dreissinger

Thomas Bernhard: Die Tragödie ist seine Komödie

Der Dichter, eine Erregung noch immer. Am Mittwoch wäre Thomas Bernhard 80 Jahre geworden. Was er uns heute zu sagen hat.

Eines Nachmittags im Frühsommer 1978 rief plötzlich Claus Peymann an. Er sitze gerade in einer Bar auf Korsika mit Thomas Bernhard zusammen und reiche den Telefonhörer weiter. Bernhard sagte: „Grüß Gott“, und dann kurz und gut: „Wann wollen Sie kommen?“ Der Dichter, schon auf dem Weg zum Weltruhm, der als völlig entrückt und unnahbar zumal für alle Kritiker oder die sonstige Medienöffentlichkeit galt, war ein Weltmeister der telegrafischen Kürze. Er konnte einen Satz auch in einem Wort sagen. Und umgekehrt, denn bei ihm war immer zugleich das Gegenteil möglich, einen Satz auch in einem ganzen Buch. In einem so langen wie kurzweiligen Theaterstück.

Als er mich bei unserem ersten Treffen in seinem Lieblingscafé Brandl in Gmunden im Salzkammergut zu sich einlud und in seinem fabrikneuen jägergrünen Mercedes über einen holprigen Feldweg in sein Ohlsdorfer Haus hoch über Gmunden und dem Traunsee kutschierte, war das die erste Verblüffung. Die nächste Überraschung wirkte dann anregend und gespenstisch. Denn während der folgenden fünf Stunden bei 35 Grad Sommerhitze, in denen es bei ihm in seinem noblen, weiß getünchten Bauernhaus am blanken dunklen Holztisch nicht einmal ein Glas Wasser gab, hat Bernhard fast ununterbrochen geredet. Hat auf Fragen mit Aphorismen oder ganzen Geschichten geantwortet. Und das, trotz des persönlich charmanten, freundlichen Tons, im Gestus auch seiner Figuren: als sarkastische, fantastische Suada. Völlig druckreif. Eine solche geisterhafte Übereinkunft von Autor und Werk, von Realität und Fiktion, Theater und Leben war einmalig. Sie erzeugte sein Faszinosum, wobei diese Präsenz und Insistenz auch ein Spiel waren. Trügerisch, irrwitzig.

„Haben Sie hier kein Telefon?“ – „Nein, natürlich kein Telefon.“ – „Aber“, fragte ich nach, „Briefe schreiben Sie doch?“ Bernhard lächelte: „Briefe? Nie! Man darf doch niemandem etwas in die Hand spielen!“ Ein paar Tage später erhielt ich einen ersten Brief von ihm, wunderbar formuliert. Heute weiß man, dass Bernhard ein begeisterter und besessener Briefschreiber war. Auch das ein Spiel.

In einer schönen Ausstellung, die jetzt immer eine Stunde vor Vorstellungsbeginn im oberen Foyer, in den Seitenkabinetten und in der Kantine des Berliner Ensembles zu sehen ist, schaut man nicht nur auf viele, auch seltene Fotos, kann auf TV-Schirmen die glanzvollen Aufführungen seiner Stücke verfolgen. Man findet auch einige Telegramme, Briefe, Postkarten Thomas Bernhards in einer Vitrine. Einmal redet er Claus Peymann, seinen Lieblingsregisseur und „Großmeister des Schnürbodens“, auf einer Karte ironisch an: „Lieber Clausewitz“.

Eigentlich hasste er Geburtstage und verachtete Feiern. „Es gibt ja nichts Verlogeneres als diese Geburtstagsfeiern ..., nichts Widerwärtigeres als die Geburtstagsverlogenheit“, sagt Bernhard durch den Mund des Musikkritikers Reger in seinem vorletzten Roman „Alte Meister“.

So ist es naturgemäß auch eine Absurdität, dass von Berlin bis Wien die Theater, Verlage, Filme- und Ausstellungsmacher heute Thomas Bernhards 80. Geburtstag feiern, obwohl sie (und wir) alle vor zwei Jahren gerade den 20. Todestag Bernhards begangen und besungen haben. Doch das Absurde war Bernhards Elixier, er lebte und schrieb aus der Verhöhnung und der Versöhnung der Widersprüche. „Die Kunst ist das Höchste und das Widerwärtigste gleichzeitig“, sagt jener Reger, der auch ein Erreger ist.

„Alte Meister“, 1985 erschienen, war eine von Bernhards furiosen monomanischen Abrechnungen mit fast allem: mit der Kindheit („die Hölle“), mit dem Höllenstaat Österreich, mit jeglicher Schule („Menschenvernichtungsanstalt“), mit der Kunst, den Künstlern, den Kunsthistorikern, dem Kunsthistorischen Museum (dem Wiener Schauplatz des Romans), mit der Musik, der Literatur – aller Literatur, aber vor allem der von Adalbert Stifter, weshalb man alle Literatur auf die „Stifterprobe“ stellen müsse, und eine Abrechnung auch mit der Philosophie, zumindest der von Heidegger, diesem Schwarzhinterwälder „Pumphosenspießer“. Der Untertitel der „Alten Meister“ lautet „Komödie“. Ein Spiel im Ernst, und letztlich: zum Lachen, was sonst.

Dannach kam als Prosa 1986 nurmehr die „Auslöschung“ , Untertitel „Ein Zerfall“: Bernhards wehmütigstes Werk – außer der späten Theaterelegie „Heldenplatz“, die vor der am Ende umjubelten Uraufführung im Herbst 1988 am Wiener Burgtheater nur eine hirnlose österreichische Rechtspresse noch zum Möchtegernskandal zu stilisieren vermochte. Was in der „Auslöschung“ im Hinweis auf Kierkegaards philosophische Lebens-Idee der „Krankheit zum Tode“ schon vorbedeutet war, hat sich dann für Bernhard kurz nach dem „Heldenplatz“-Triumph erfüllt. Im Februar 1989.

Wien, seine Hofburg und der Heldenplatz sind als Reste eines vergangenen Weltreichs nur noch ein Wasserkopf, ohne Körper. Der österreichische Hassliebhaber Thomas Bernhard war als Geisteskopf wohl auch ein Geist ohne ganz welthaltigen Körper. Seine Literatur ist darum von höchster Künstlichkeit, in der seine Natur als Dandy, Grantler, Bergsphinx und mit der Lungenkrankheit kämpfender Tragödienkomödiant durchscheint. Seine lebenslange Suada, in ihrer klangvollen Monotonie nur Becketts farbigem Grau vergleichbar, ist Wortmusik: ein Sound und Sog für Süchtige, mit den immergleichen Leitmotiven. Man kann’s beim Lesen, im Theater oder als Stimmenspiel erfahren. Als Bernhardprobe. Bei Akteuren wie Gert Voss, Thomas Holtzmann, Peter Fitz, Burghart Klaußner oder Ulrich Matthes (auf den Th.-B.-CDs des Hörverlags und Audio Verlags) lebt dieser Kopfredner auf. Ganz geisterhaft.

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