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Thomas Brussig

© picture alliance / dpa

Thomas brussig über #allesdichtmachen: "Gibt es das Genre Fremdschämen?"

Schauspieler sorgen mit ihrer Aktion #allesdichtmachen für Empörung. Schriftsteller Thomas Brussig sagt: Über Tragödien kann man schlecht Witze machen.

Herr Brussig, Sie haben als Schriftststeller reichlich Erfahrung mit Satire, Sie haben einst einen fabelhaften Roman über die DDR und die Mauer geschrieben, „Helden wie wir“, und Sie haben auch die NVA ins Visier genommen. Darf man Corona- Witze machen? Ist das überhaupt ein Thema für Satire?
Ich denke schon. Es ist aber immer besser, die Komödie erst dann zu machen, wenn die Tragödie hinter einem liegt und das Lachen einem erlaubt, einen neuen Blick zu gewinnen. Eine Mauerkomödie, wenn die Mauer noch steht, ist heikel, danach kann man es machen. Mit Corona ist es ähnlich.

War das überhaupt Satire, was die Schauspieler und Schauspielerinnen bei #allesdichtmachen veranstaltet haben? Oder was sollte das sein?
Ich glaube, es war als Satire gemeint und geplant, es ging dann aber in die Hose. Gibt es ein Genre, das „Fremdschämen“ heißt?

Es gab in den Clips aber auch berechtigte Punkte und Sorgen und Fragen – zum Beispiel nach der Situation der Kinder, der persönlichen Freiheit, der Qualität der politischen Kommunikation.
Uns allen macht die Situation zu schaffen, das ist doch keine Frage. Und niemand, vermutlich nicht einmal die Bundesregierung, ist mit den Entscheidungen in der Krise wirklich glücklich. Es macht uns alle ohnmächtig. Aber mich störte diese Tonalität der Selbstgerechtigkeit der Schauspieler, diese Attitüde war schwer auszuhalten.

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Es wirkte alles sehr orchestriert und gestylt.
Das kann man ja so machen. Vor vier Jahren haben Satire-Redaktionen in ganz Europa auf Trumps „America first“ mit einem genormten Konzept geantwortet, und das war oft zum Totlachen.

Warum haben die Videos uns so beschäftigt? Haben wir keine anderen Sorgen?
Hier wurde einmal ein Versuch unternommen, Dampf abzulassen, und zwar von Leuten, die es eigentlich können müssten. Wir köcheln ja alle im eigenen Saft mit unserer Unzufriedenheit und Angst und der Beschwernis der gesamten Lage. Es wundert mich überhaupt nicht, dass das Thema elektrisiert.

Hat die Aktion dem Ruf der Schauspieler geschadet und Vorurteile bestärkt?
Genutzt hat es vermutlich nicht. Aber denken wir lieber an die vielen, die da nicht mitgemacht oder sogar gleich öffentlich widersprochen haben. Schauspieler sind nicht anders als andere Menschen, da gibt es die etwas schlaueren und dann wieder die etwas einfacher gestrickten. Wenn es Virologen und Epidemiologen gewesen wären, hätte mich eine solche Aktion viel mehr interessiert.

Und wenn es eine Versammlung von Schriftstellern gewesen wären?
Das wäre vermutlich noch peinlicher geworden. Weil wir Schriftsteller gern so tun, als wüssten wir alles. Ich hatte ehrlich gesagt in den letzten Monaten immer Angst, dass einer meiner Kollegen irgend eine Initiative startet. Seit gestern habe ich diese Angst nicht mehr. Das ging dermaßen nach hinten los, das wird keiner wiederholen wollen.

Thomas Brussig, geboren 1964, lebt als Schriftsteller in Berlin. Er hat zahlreiche Bühnenstücke und Drehbücher geschrieben. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Die Verwandelten“ (Wallstein Verlag). – Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

Rüdiger Schaper

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