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Tilda Swinton: Grüner Grenzwert

Filmen mit Fahrrad: Die britische Schauspielerin Tilda Swinton radelt an der Berliner Mauer entlang – 1988 und 2009

Das Rad war klappriger, vor 21 Jahren. Die Haare sind dafür heute kurz und blond gefärbt, nicht mehr diese unglaubliche rote Mähne. Auch das Gesicht ist klarer, etwas härter, hat nicht mehr die durchsichtige Weichheit von einst. Heute pfeifen ihr die Lesben in Kreuzberg hinterher, damals waren’s die Bauarbeiter. Es ist eine Begegnung mit jenem jungen Wesen von einst, Tilda Swintons nach 21 Jahren wiederholte Berlin-Exkursion vom Sommer 2009. Und doch steht sie dann nachdenklich am See, da drüben, am anderen Ufer, stand damals die Mauer. Eine ganze Welt hat sich verändert: „Manchmal sieht man es, manchmal nicht, wie eine Lichttäuschung, und dann kommt man um eine Ecke, und es ist überhaupt nichts verändert.“

1988 hatte die Schauspielerin Tilda Swinton gemeinsam mit der Filmregisseurin Cynthia Beatt eine West-Berlin-Erkundung der besonderen Art unternommen: Mit dem Rad immer an der Mauer lang, von Griebnitzsee bis Reinickendorf, von der Oberbaumbrücke bis zur Glienicker Brücke, mit dem Schiff an Sacrow vorbei und am Ende zum Brandenburger Tor. Eine Sommertour durch Brachen und blühende Wiesen, stille Vorortstraßen und verlassene Industrieareale. Immer wieder kommt die Mauer in den Blick. Tilda Swinton, 1988 gerade erst bekannt geworden durch ihre erste Rolle als rothaariges Straßenmädchen in Derek Jarmans „Caravaggio“, trägt Blümchenrock und Sandalen, Strickjacke und Sonnenbrille, die Haare mal flatternd, mal streng zum Zopf.

Während sie radelt, begleitet sie ein Soundtrack aus Vogelzwitschern und Presslufthämmern, Metallhämmern und Autorauschen, komponiert von Derek Jarmans Tonmann Simon Fisher-Turner. Dazu hört man Tildas Texte aus dem Off, als seien sie ihr gerade beim Radeln eingefallen, halb Gedichte, halb Kinderreime, poetische Reflexionen, dann wieder deutliche Worte. Dass diese eingemauerte Stadt sich entschlossen hatte, das Unding namens Mauer zu ignorieren, irritiert die Engländerin offensichtlich. Vor dem Martin-Gropius-Bau, direkt an der Mauer, schimpft sie: „Dieser Ort ist total verrückt. Idioten.“

„Cycling the Frame“, der 27-Minuten-Film von 1988, ist ein Zeitdokument besonderer Art. Wie viel Platz damals in Berlin war, wie menschenleer die Stadt, wie grün, wie fremd. 21 Jahre später, im Juni 2009, haben die beiden, Tilda Swinton und Cynthia Beatt, das Experiment wiederholt: „The Invisible Frame“, ein 60-Minuten-Film, der am heutigen Sonntag im Arsenal-Kino vorgestellt wird, ist das Ergebnis. Tilda Swinton ist längst ein Star, Oscar-Preisträgerin, 2009 Präsidentin der Berlinale-Jury, aber im Film ist sie so offen, so unbekümmert wie einst. Nicht nur die Mauer ist unsichtbar, auch sie selbst bewegt sich durch eine Welt, wo niemand sie erkennt. Mit kurzem Rock und Sneakers strampelt sie tapfer die Strecke ab, ihr Deutsch ist besser geworden, die Kondition offenbar auch.

Wieder geht es an der Mauer lang, auf der Suche nach den Stätten von damals. Oft sind diese nicht mehr wiederzuerkennen. Dass die „Molle“ an der Bornholmer Brücke nicht mehr offen ist, dass in Groß-Glienicke die Kneipe direkt am Wasser geschlossen hat – geschenkt. Auch, dass kaum mehr Mauerteile zu sehen sind, außer an der Eastside-Gallery, oder weit draußen, wo ein vereinzeltes Mauerstück eingezäunt im Grünen steht – man weiß es. Im direkten Vergleich fällt vielmehr auf: wie belebt die Mauerstreifen sind, die längst zu Grünstreifen und Parks mutiert sind. Grillende Familien, Jogger und Fahrradfahrer, keine Spur mehr von der einsamen Ödnis von damals. Aber auch keine Spur mehr von den Brachen und weiten Blicken. Längst haben sich Einfamilienhäuser mit blauen Dächern ins Bild geschoben.

Was für eine seltsame Stadt, dieses Berlin. Doppelt fremd, weil mit fremdem Blick gesehen, und doch so vertraut. Alle Welt fasziniert an Berlin das Heterogene, Kaputte, ebenso der weite Raum, das viele Grün, das Wasser, der Himmel, das Licht: In beiden Filmen wird das deutlich, schmerzhaft schön. Immer aber bleibt die Vergangenheit spürbar, die Brutalität, mit der da ein Land, eine Landschaft, eine Stadt in zwei Teile geteilt wurden: „Die unsichtbare Mauer“, rätselt Tilda auf ihrer Tour, „ist viel präsenter als die sichtbare damals.“

Am Ende steht Tilda Swinton wieder am Brandenburger Tor, wie 1988. Damals versperrte die Mauer den Blick in den Osten. In der letzten Einstellung hörte man ihre trockene Stimme: „Finito. Closed.“ Heute radelt sie durch das Tor in den Osten, trudelt am Pariser Platz aus, blickt in die andere Richtung, und macht keinen Hehl daraus, dass sie die Veränderungen begrüßt: „Offene Türen. Offene Augen. Offenes Land. Offene Herzen. Offener Geist. Offene Grenzen. Sesam, öffne dich.“

Premiere am 8. Nov., 18 und 20 Uhr, Arsenal Kino, in Anwesenheit von Tilda Swinton, Cynthia Beatt und dem Filmteam. Vom 15. 11. bis 20. 12. laufen jeweils sonntags um 17 Uhr beide Filme hintereinander im Arsenal.

Christina Tilmann

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