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Kultur: Tiroler Landestheater: Die Verneinung der Kunst: auch eine Kunst!

In der Antike, so weiß man, wurde der Bote schlechter Nachrichten sofort getötet. Erdolcht, gelyncht, vergiftet - wie um zu beweisen, dass vor Ort noch stärkere, mächtigere Kräfte wirken als die drohend verheißenen, wie um dem Schicksal für eine letzte kleine Zeit zu entgehen.

In der Antike, so weiß man, wurde der Bote schlechter Nachrichten sofort getötet. Erdolcht, gelyncht, vergiftet - wie um zu beweisen, dass vor Ort noch stärkere, mächtigere Kräfte wirken als die drohend verheißenen, wie um dem Schicksal für eine letzte kleine Zeit zu entgehen. Sehr viel anders geht gute 2000 Jahre später auch das Opernpublikum nicht mit seinen Regisseuren um. Wie gerne würde es diese Schädlinge der Kunst aus der Welt schaffen, nun, da Zuschauerzahlen die Zukunft diktieren und die Tage vieler Theater gezählt scheinen. Allein, noch sträubt sich der bürgerliche Anstand und ein gewisser Rest an aufgeklärtem Geist und überhaupt die Konvention. Es werden also weder Dolche noch Steine noch faule Eier oder Tomaten geworfen, es wird gebuht - und lauthals geschwiegen. So geschehen zuletzt am Tiroler Landestheater in Innsbruck. Der Skandal als gesellschaftliche Verweigerung.

Ein Sturm der Entrüstung jedenfalls erhob sich und kaum eine Hand rührte sich im Parkett mehr zum Applaus, als Barbara Beyer, die Regisseurin des Abends, zusammen mit ihrer Ausstatterin Bettina Munzer inmitten der durchwegs und sehr zu Recht umjubelten Sängerschar vor den Vorhang trat. Zwei Ausätzige, zwei Kuckuckskinder. Was mag ihre Botschaft gewesen sein, dass sie solch unverhohlenen Hass auf sich zogen? Der erste Teil des Tiroler Publikums las sicher "Verdi" und "Un ballo in maschera" und erwartete rauschende Kostüme und einen blutrünstigen Historienschinken. Ein anderer Teil kannte vielleicht Beyers ersten Versuch mit diesem Stück, 1996 zu Beginn der Ära Schindhelm am Theater Basel - und dachte wohl an allerlei komplexe Abstraktionen und an die Zeichenhaftigkeit der Leidenschaften, und der dritte Teil des Publikums schließlich fand es schlicht unmöglich, mit einer derart spröden Aufführung die Spielzeit zu eröffnen - immerhin die zweite unter Brigitte Fassbaenders Intendanz. Wut und Enttäuschung also auf breiter Front.

Wo Männer ihre Schuhe schwenken

Nun, Barbara Beyers Glück oder Pech war und ist es, dass sie mit ihren Arbeiten stets zwischen allen Stühlen sitzt. Wird er eines Raumes angesichtig, der weder schwedischer Königs- noch Bostoner Gouverneurspalast ist , macht der konservative Zuschauer bis heute alle Schotten dicht. Beyer weiß um diese Aversion, hat oft genug erfahren, was es heißt, mit den herrschenden Gefühlsgewohnheiten zu brechen - und spitzt ihre Ästhetik dennoch munter weiter zu, tastet sich mit morbider Lust an immer neue Präzisions-, Schmerz- und Tabugrenzen vor.

Es mag ihr als Stärke oder als Schwäche ausgelegt werden, als Beliebigkeit, Halsstarrigkeit oder Konsequenz: Das stocknüchterne Ambiente des Innsbrucker "Maskenballs" (eines fensterlosen Gemeindesaals mit Teppichboden, flackernden Oberlichtern und keimfreiem Plastikgestühl) spricht zuallererst eine Sprache: die der Verneinung der Kunst als Kunst. Und die der alleräußersten Reduktion. Noch weniger geht nicht. Was ist uns das ganze Drama um die schöne Amelia, gibt die Regisseurin schelmisch-zynisch zu bedenken, wenn es sich nicht auch an einem solchen öffentlichen Unort behauptete? Wir halten dagegen: Welches Stück passte unter diesen Umständen nicht hierher?

Befriedigung mit dem Suppenteller

Barbara Beyer aber bohrt weiter: Was ist uns Verdis Musik, wenn sie den aller Masken und Maskierungen beraubten Menschen in seinen Verstrickungen nicht umso schöner, umso tiefer leuchten lässt? Legitime, lang entbehrte Fragen, gewiss. Und Antworten, die Angst machen. Und Bilder, die die Leere, das Vakuum nicht immer füllen. Dass die ihre Schuhe schwenkenden Männer im ersten Akt mindestens so lächerlichen Ritualen nachgehen wie der hausfraulich enthemmte Damenchor in der Ulrica-Szene des zweiten Aktes (Elena Batoukova mit fulminantem Mezzo), fällt da eher in Beyers Grundvokabular der Geschlechterdifferenz - und ist weder sonderlich erhellend noch wirklich originell. Dass Amelia sich im Liebesduett des zweiten Aktes hingegen als Schleier- und Maskenersatz die nächstbeste Tischdecke über den Kopf zieht (stimmlich mutig und stark im Ausdruck: Ludmilla Slepneva), wirkt bloß auf den ersten Blick lachhaft: Mehr Theatermittel als die kärglich vorhandenen gibt es eben nicht, und dass Renato, dieser Bulle von einem Mann, in der mindestens so rätselhaft wie dämlich Verhüllten nicht sogleich seine Frau erkennt, steigert nur die Schmach. Wenig später sitzt er, von Amelia mit Serviette und Suppenteller ein letztes Mal ehelich befriedet, am Tisch, den Sohn - den sie vorgab, zu suchen, um Riccardo, den Geliebten, zu warnen - an seiner Seite. Das Kind trägt eine Indianermaske und blickt, wenn es sich nicht gerade auf dem Kriegspfad befindet, starr nach vorn. Genauer kann man eine Familiengeschichte nicht erzählen. Klarer kann Verdi nicht sein.

Auch zum finalen Maskenball passiert in Innsbruck nur das Notwendigste: Oscar (von Brigitte Christensen als dralle Putze hinreißend lasziv gesungen und gespielt) spannt eine einsame Girlande durch den Raum, der Chor des Tiroler Landestheaters setzt sich bunte Hütchen auf und nimmt wie schon zu Beginn artig an den Tischen Platz. Kein Bein rührt sich zum Tanz, nichts ereignet sich - außer der Partitur. Es passt gut, dass Patrick Furrer sich am Pult des Tiroler Symphonieorchesters eines eher herben, trockenen Verdi-Tons bedient. Süffige Verbindlichkeit bleibt dieser Musik fremd, eher stellt sie sich selbst in Frage, fällt sie in gespreizten Tempi bisweilen kunstvoll auseinander. Ganz am Ende, als Renato alias der fabelhaft präsente Carlo Hartmann - der nun aussieht wie Hoss aus "Bonanza" und mit seinen Schießereien lange ungelenkig werkelt - Riccardo, den Widersacher, endlich niedergestreckt hat, da steht dieser ruhig wieder auf. Alexander Fedin, der sich in der Tenorpartie ebenso diszipliniert wie wacker geschlagen hat, streift sich seine Maske, eine blecherne Königskrone, von der Stirn, wirft sich das Jackett über die blutende Schulter, dreht lächelnd eine letzte Runde, singt ein letztes "Addio". Dann bricht er zusammen. Der Tod, sagt Barbara Beyer, ist eine Möglichkeit zum Leben.

Man könnte jetzt lachen oder weinen oder laut zum Himmel schreien. Nur schweigen dürfte man nicht. Das wäre der Tod des Theaters.

Christine Lemke-Matwey

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