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"To Russia with Love": Putin die Meinung geigen

Der lettische Geiger Gideon Kremer lud zum Protestkonzert im Kammermusiksaal.

Unter dem Titel „To Russia with Love“ versammelt der lettische Geiger Gidon Kremer im Kammermusiksaal das von ihm gegründete Streichorchester Kremerata Baltica, den ukrainischen Kinderchor Shchedryk sowie grandiose Solisten, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Russland zu protestieren.

Die Veranstaltung geht über ein Konzert mit symbolischem Appell-Charakter weit hinaus: Im Foyer informieren Organisationen wie Amnesty International über die Lage in Russland, in einer Gesprächsrunde schildert die Aktivistin Swetlana Gannuschkina die Zwänge, unter denen Menschenrechtsgruppen dort zu leiden haben. Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) müssen sich nach einem neuen Gesetz als Agenten registrieren lassen, sobald nur ein Dollar ausländischen Kapitals in ihre Arbeit fließt. Sie dürfen sich also selbst als jene Staatsfeinde anschwärzen, als die sie anschließend von der Administration behandelt werden sollen.

Dem Konzert voran steht eine Rede von Hertha Müller. Sprachmächtig wie stets entwirft die Nobelpreisträgerin das düstere Bild einer in Gestalt der Putin-Regierung zur Alleinherrschaft strebenden sowjetischen Geheimdienstbürokratie. Die Schauspieler Sebastian Koch und Martina Gedeck lesen Texte Mikhail Khodorkovskys und Anna Politkowskajas.

Am 7. Jahrestag des bis heute nicht restlos aufgeklärten Mordes an der Journalistin kommt dann die Verletzlichkeit der Vernunft auch musikalisch zum Ausdruck: In der von Nicolas Altstaedt inständig in Flüsterlautstärke vorgetragenen Sarabande aus Bachs zweiter Cellosuite und im unverwechselbar fragilen Geigenton Gidon Kremers, der sich jedem nur schönen Wohlklang verweigert. Einer Reihe von zeitgenössischen russischen Werken folgen nach der Pause eine entfesselte Prokofjev-Interpretation der Pianistin Khatia Buniatishvili sowie die vom Flötisten Emmanuel Pahud bewegend vorgetragene Transkription der Lenski- Arie aus Eugen Onegin.

Mit dem Auftritt Martha Argerichs gerät die sorgsame Dramaturgie des Abends im besten Sinne aus den Fugen. Nach dem mit zärtlicher Wildheit angepackten Finale aus Schostakowitschs 1. Klavierkonzert (ebenfalls hervorragend: Trompeter Sergei Nakariakov als zweiter Solist) spielt Argerich vierhändig mit Daniel Barenboim Schuberts Rondo op. 107. Im so traumverlorenen wie zugleich für die Impulse des Mitspielers wachen Musizieren überflügelt diese Interpretation den konkreten Anlass der Veranstaltung und wird gerade darin ihrem Geist aufs Schönste gerecht. Benedikt von Bernstorff

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