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Bayreuther Festspiele: Tod einer Prinzipalin

Gudrun Wagner war die heimliche Chefin in Bayreuth. Wie geht es ohne sie weiter?

Selten haben sich an einer öffentlich-unöffentlichen Figur wie ihr derart heftig die Geister geschieden. Den einen – Bayreuth-Regisseuren wie Jürgen Flimm oder Christoph Schlingensief – galt sie als Persona non grata, als Hausdrachen im Hintergrund, ja gar als „böser Mensch“, und je älter und offensichtlich hinfälliger Festspielchef Wolfgang Wagner wurde, desto weniger hielt man mit solchen (Vor-)Urteilen über seine Ehefrau hinterm Berg. Für andere – den aktuellen „Ring“-Dirigenten Christian Thielemann, viele Sänger, aber auch für Hans Neuenfels, der 2010 mit Wagners „Lohengrin“ sein spätes Hügel-Regiedebüt geben wird – war sie im persönlichen Umgang und in der Arbeit vor allem professionell, fleißig, sachlich und gewiss auch streitbar. Leicht hat die gebürtige Ostpreußin Gudrun Wagner es sich und der Wagner-Welt nie gemacht.

Dass ihre Tochter Katharina zu ihr – allen solidarischen Nachfolgeanstrengungen zum Trotz – ein eher schwieriges Verhältnis hatte, das ahnte, wer die beiden je zusammen in einem Raum erlebte. Noch über der Frage, ob Schlingensief seine kultverdächtig-umstrittene und nunmehr abgespielte „Parsifal“-Inszenierung filmisch festhalten dürfe, sollen sich Mutter und Tochter diesen Sommer erbittert in den Haaren gelegen haben (er durfte nicht). Und Gudruns legendäre Replik im „Ring“-Premierenjahr 2006 auf einen Anruf, ob denn der Festspielleiter zu sprechen sei – sie ist längst als geflügeltes Wort in die Annalen der Genderstudies eingegangen: „Also mein Mann, das bin ich hier.“

So viel subversiven Humor hätten ihre Gegner ihr nicht zugetraut. Überhaupt hat man sie wohl gerne unterschätzt. Gudrun Wagner, geborene Armann und in erster Ehe mit dem Musikwissenschaftler Dietrich Mack verheiratet, ist stets mehr gewesen als die Frau neben oder hinter Wolfgang Wagner. Wenn überhaupt, dann war sie die Frau vor dem „Alten“, und dies nicht erst, seit dieser 2000 (vergeblich) versucht hatte, sie als Festspielleiterin zu inthronisieren. Der Stiftungsrat der Festspiele war von dieser Lösung nicht zu überzeugen. Inoffiziell allerdings hat Gudrun Wagner, die als „persönliche Referentin der Festspielleitung“ geführt wurde, längst die Arbeit einer heimlichen Prinzipalin verrichtet. Und alle haben es gewusst.

Viele künstlerische Entscheidungen der letzten Jahre dürfte sie nahezu alleine gefällt und getragen haben. Sie hat sich zu Wort gemeldet, wenn am Finanzierungsmodell der Festspiele herumgedoktert werden sollte, ist gereist, hat Verträge verhandelt, künstlerische Konzepte kritisiert, Proben überwacht und Sängerbesetzungen verantwortet. Kurz: Sie hat sich eingemischt und unentbehrlich gemacht. Kaum je auf die diplomatisch-psychologische Tour, niemals honigsüß, sicher nicht immer mit offenem Visier. Dazu war die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, die 1965 im Pressebüro der Festspiele anfing und 1976, im stürmischen Sommer des Bayreuther „Jahrhundert-Rings“, den damals seit neun Jahren allein regierenden Wolfgang Wagner ehelichte, viel zu machtbewusst und zu pragmatisch.

Gestern früh ist Gudrun Wagner nach einer an sich gut überstandenen Operation im Bayreuther Bezirkskrankenhaus völlig unerwartet gestorben. Die Familie stehe unter Schock, heißt es. „Tiefbewegt und in stiller Trauer“ gab Wolfgang Wagner per Fax den Tod seiner Frau bekannt. Die Festspiele sehen sich nun mit ebenso drängenden wie verräterischen Problemen konfrontiert. Das vordringlichste: Wer soll ihre Arbeit tun, von heute auf morgen, wer leitet fortan das renommierteste Opernfestival der Welt? Dabei ändert sich auf dem Papier absurderweise zunächst – nichts. Denn formal heißt der Festspielchef seit 1967 und bis auf Weiteres Wolfgang Wagner. Seitens des Stiftungsrates nun in Hektik zu verfallen und das Nachfolgeverfahren wie auch immer anzukurbeln, hieße, man habe zuletzt einen quasi geschäftsuntüchtigen Wolfgang Wagner satzungswidrig akzeptiert: weil juristisch die Instrumente fehlten, seinen Lebenszeitvertrag auszuhebeln. Und nicht anders verhält es sich ja auch. Die Verantwortlichen werden sich also etwas einfallen lassen müssen, um nicht ihr Gesicht zu verlieren. Die letzte Sitzung des Stiftungsrates Anfang November dürfte ihnen dazu wenig Anregungen gegeben haben – sie verlief, in Abwesenheit W. W.’s, ergebnislos.

Andererseits herrscht jetzt erstmals akuter Handlungsbedarf, und in die peinlich vertrackte Angelegenheit könnte – Satzung hin, verlorene Gesichter her – Bewegung kommen. Auf Klaus Schultz, den Ex-Intendanten des Münchner Gärtnerplatztheaters, der 2001 für den Wolfgang-Wagner-Notfall auf Standby geschaltet wurde, wird wohl niemand setzen. Sowohl Eva Wagner-Pasquier als auch Nike Wagner, die beide zum zweiten Mal gebeten sind, ihre Festspielkonzepte einzureichen, werden kaum über Nacht abkömmlich sein oder willens, in Aix-en-Provence respektive Weimar alles stehen und liegen zu lassen. Und selbst wenn: Ihre Einarbeitung dürfte das praktisch Notwendige zeitlich weit überschreiten – zumal sich die Bayreuth-Erfahrungen jeweils in Grenzen halten.

Also doch eine Interimslösung, ein gewiefter Alt-Theatermeister vom Schlage eines Sir Peter Jonas oder Klaus Zehelein, der den Wagner-Karren weiterzieht, bis Wolfgang das Feld räumt? Katharina, so hört man, habe ihre Mutter ohnehin besuchen wollen; Christian Thielemann weilt für Proben in München ante portas; und Peter Ruzicka wird am Wochenende ebenda über den Fall Pfitzner diskutieren. Das Dreigestirn, dem der „Alte“ jederzeit jeden Segen geben würde, befindet sich also bereits vor Ort. Und Thielemann werden nicht erst seit seinen jüngsten Wagner-Triumphen exzellente Verbindungen zur Bundeskanzlerin nachgesagt. Ob dies alles reicht, um die Bayreuther Stiftungssatzung zu stürzen und aus einer dramatischen Not eine echte Tugend zu machen?

Gudrun Wagner allerdings wäre es zuzutrauen, dass sie die Geschicke auf dem Grünen Hügel noch posthum ganz in ihrem Sinne zu lenken versteht.

Christine Lemke-Matwey

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