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Kultur: Tommy und Sule

Packend: Oliver Kienles Debüt „Bis aufs Blut“

Der elfjährige Sule fackelt nicht lang und schlägt dem Ami, der seinen Mitschüler bedroht, einen großen Stein mitten ins Gesicht. „Jetzt krieg’ ich aber Mathe von dir“, sagt er zu Tommy, als der Angreifer das Weite gesucht hat. So beginnen Männerfreundschaften. Die Credits zu Filmbeginn sind noch nicht durch, da hat Regisseur und Drehbuchautor Oliver Kienle schon in kurzen Schnittsequenzen zu dröhnendem Hip-Hop-Sound die wilde Kindheit und Jugend der beiden unzertrennlichen Freunde erzählt.

Dabei stammen sie aus total gegensätzlichen sozialen Welten. Der Türke Sule (Burak Yigit) schafft es so eben auf die Hauptschule und ist nach dem Tod der Mutter auf sich allein gestellt. Tommy (Jacob Matschenz) wächst bei seiner Mutter in einer Würzburger Eigenheimsiedlung auf. Er geht aufs Gymnasium, will Physiklehrer werden, wird aber von Sule immer mehr ins Drogenmilieu hineingezogen. Die beiden beginnen zu dealen und eines Tages steht die Polizei vor der Haustür. Nach sechs Monaten verlässt Tommy den Knast mit riesigen Blutergüssen, traumatischen Erinnerungen und besten Vorsätzen. Doch das selbstverordnete Resozialisierungsvorhaben fällt schwer, wenn man einen Freund wie Sule hat, der sich immer tiefer reinreitet und Loyalität auch mal gewaltsam einfordert.

Oliver Kienle hat das autobiografisch inspirierte Drama in seiner Heimatstadt Würzburg angesiedelt. 17 000 US-Soldaten waren bis vor wenigen Jahren dort stationiert. Sie haben nicht nur viele vaterlose Kinder, wie Tommy, hinterlassen, sondern auch die Jugendkultur mit Rap, Gangsta-Attitüden und Drogenkriminalität geprägt. Einen Film ausdrücklich auch für die junge Generation wollten die Produzenten machen, und so geht „Bis aufs Blut“ auf knallharten Authentizitätskurs. Zum Abschluss nahezu jeder Dialogzeile wird das Wort „Alter“ herausgeschmettert und auch sonst wimmelt es von vermeintlich jugendgerechten A- und F-Wörtern.

Genauso wie seine Protagonisten imitiert Kienle die Schablonen amerikanischer Jugend- und Ghettodramen, in denen im kriminellen Alltag Männerfreundschaften auf die Probe gestellt werden. Dabei beweist er in seinem Debüt, das zu Recht mit dem „First Steps Award“ ausgezeichnet wurde, enormes handwerkliches Vermögen – vom dynamischen Schnitt über den effektvollen Musikeinsatz bis zur visuellen Kraft, mit der er das altehrwürdige Würzburg als dramatische Kulisse in Gebrauch nimmt. Leider aber findet Kienle keine Distanz zur Kraftmeierei seiner Figuren. So wirkt die Story in hormoneller Hinsicht bald hoffnungslos übersteuert – und erstickt in der eigenen Pose. Martin Schwickert

In vier Berliner Multiplexen

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