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Kultur: "Too much flesh": Sind so arme Männer

Lyle Newkirk, 35 Jahre alt, Farmer in Rankin, einem Provinzkaff in Illinois. Steht nackt im Maisfeld und blinzelt verzückt in die Sonne.

Lyle Newkirk, 35 Jahre alt, Farmer in Rankin, einem Provinzkaff in Illinois. Steht nackt im Maisfeld und blinzelt verzückt in die Sonne. Wir ahnen es: Der Mann holt sich gerade einen runter. Warum auch nicht.

Jean-Marc Barr, der Regisseur, spielt diesen Lyle. Ein Unschuldslamm, eine Art Parzifal des Sex. Irgendein Mädchen aus Rankin hat einst das Märchen in die Welt gesetzt, mit Lyles Penis sei etwas nicht in Ordnung: too much flesh. Seitdem rührt er keine mehr an. Und keine rührt ihn an, vor allem seine Frau nicht (Rosanna Arquette), die ohnehin einer verstorbenen Liebe nachtrauert. Armer Lyle. Aber dann kommt sein Jugendfreund Vernon ins Städtchen zurück und bringt eine hübsche Französin mit. Juliette, oder genauer: Elodie Bouchez. Sie entjungfert Lyle im Maisfeld und fortan geben sich beide dem Sex hin, wie arglos verspielte Kinder. Glücklicher Lyle.

Eine Geschichte von der Entdeckung der Lust. Vom Recht darauf, nach der eigenen Fasson selig zu werden. Und eine Geschichte von Puritanismus und Bigotterie: Ganz Rankin ist vom Treiben der beiden entsetzt. Die Strafe folgt auf dem Erntefest. Lyle stirbt den Märtyertod - im Maisfeld.

Nach "Lovers" ist "Too much flesh" Barrs zweiter Konzeptfilm in seiner Trilogie über die Freiheit, die er mit einem kleinen Team als Low-Budget-Produktionen realisiert, diesmal in Rankin, dem Ort, aus dem seine eigene Familie stammt. Das Problem daran ist eben das Konzept: Der Film, der die Sinnlichkeit einklagt, bleibt eine Kopfgeburt. So tappt er in die Falle eben jener Ressentiments, die er anprangert: Bauern sind Hinterwäldler, Französinnen sexy, Ehefrauen verklemmt, und die Gesellschaft ist der Feind des Individuums. Barr spielt den Farmer nur, er verkörpert ihn nicht. Allein dieses ewige Lächeln: Fluchbeladene Menschen lächeln weniger selbstgefällig. Auch die grobkörnigen Bilder der Handkamera behaupten eine Authentizität, die sie nicht einlösen. Zu krude die Dramaturgie, zu dilettantisch die Montage. Und anders als in den dänischen Dogma-Filmen erstickt der dokumentarische Touch der Videobilder die Fantasie, die doch die Bedingung des Begehrens ist.

Übrig bleibt eine banale Story: Ein Mann wird von einer Frau zum Menschsein erlöst. Jungs, es ist alles in Ordnung mit euch, bedeutet Jean-Marc Barr. Ihr habt nicht too much flesh, lasst euch bloß keine Krise der Männlichkeit einreden. Elodie Bouchez tritt übrigens vollkommen nackt vor der Kamera auf, der Regisseur hingegen spart seine empfindlichstes Körperteil sorgsam aus. Ist das die Freiheit, die ihr meint? Im Blow Up, Eiszeit, Hackesche Höfe (OmU)

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