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Für Franz Marcs „Grünes Pferd“ von 1912 erwartete das Auktionshaus Ketterer 600.000-800.000 Euro. Erzielt wurden Ergebnis: 2.468.000 Euro.

© Ketterer Kunst

Tor zur Welt: Wie die deutschen Auktionshäuser ihre Situation sehen

Die jüngsten Versteigerungen zeigen die Internationalität des Marktes – es gab Rekorde, aber auch Rückgänge.

Von Eva Karcher

Hohe Erwartungen, gemischte Gefühle: So lässt sich die Stimmungslage führender deutscher Auktionshäuser nach den ersten Versteigerungen dieser Saison beschreiben. Seit Anfang Juni auktionieren sie beinahe im Tagesrhythmus und erleben Rekorde wie auch Enttäuschungen. Vor wenigen Tagen jubelte Markus Eisenbeis, Geschäftsführender Gesellschafter des Kölner Versteigerers Van Ham und Auktionator, über den sensationellen Zuschlag von 4.350.000 Millionen Euro für Picassos Spätwerk „Buste de Femme“, das an einen Sammler in der Schweiz ging.

Wenig später zogen die Co-Chefs von Lempertz in Köln, Henrik Hanstein und Tochter Isabel Apiarius-Hanstein, ihr Spitzenlos, das frühe expressionistische Gemälde „Selbstbildnis, liegend“ von Hermann Max Pechstein unmittelbar vor Auktionsstart aufgrund einer Raubkunstproblematik zurück – „trotz einer gütlichen Einigung, die wir in der Kürze der Zeit jedoch nicht mehr kommunizieren konnten“, so Isabel Apiarius-Hanstein. Das farbintensive Gemälde soll nun Star der Herbstauktion werden. Grund zum Feiern gab es dennoch: Nach einem Bietergefecht im vollen Saal wurde das auf 40.000-60.000 Euro geschätzte, 1925 entstandene hochdramatische Werk „Irrsinn“ des deutschen Malers Albert Birkle zum Weltrekordpreis von 907.200 Euro zugeschlagen.

Das Spitzenwerk von Lyonel Feininger blieb liegen

Von Robert Ketterer, Geschäftsführer von Ketterer Kunst, kommen ebenfalls beste Ergebnisse. Gerade wurden das Spitzenwerk der Abendauktion, das „Mädchen mit Zopf“ (1910) von Alexej von Jawlensky, für 6.383.000 Millionen Euro und Max Pechstein Gemälde „Die Ruhende“ von 1911 für 2.226.000 Euro versteigert. Bei Grisebach blieb das Spitzenlos der Sommerauktion, Lyonel Feiningers „Trompetenbläser im Dorf“, taxiert auf zwei bis drei Millionen Euro, liegen.

Diandra Donecker, zusammen mit Daniel von Schacky Chefin des Hauses, erklärt es „mit einer gewissen Zurückhaltung im Bereich der Klassischen Moderne, vielleicht als Folge der aktuellen Rezension und steigender Zinsen“. Der Kaufrausch der Pandemiejahre sei abgeebbt, „was man bereits in New York beobachten konnte, wo fünfzig Prozent der Lose unterhalb der Schätzung zugeschlagen oder zurückgezogen wurden“. Insgesamt zeigt sich das Haus jedoch zufrieden, vor allem mit den Ergebnissen im Bereich der zeitgenössischen Kunst, wie Daniel von Schacky hervorhebt; etwa der hohen Summe von 550.000 Euro für eine zwölfteilige Bleiarbeit von Günther Förg aus dem Jahr 1987, die ein deutscher Sammler erwarb: „Hier sind wir auf dem richtigen Weg“.

Das Bild „Irrsinn“ von Albert Birkle erzielte mit 907.200 Euro bei Lempertz in Köln jüngst einen Weltrekord für den Maler.

© Lempertz

Insgesamt bestätigen die bisherigen Ergebnisse, dass deutsche Top-Player des Auktionsmarkts zunehmend mehr Lose im siebenstelligen Bereich zuschlagen. Zahlen des diesjährigen Art Market Reports von Art Basel und UBS verzeichnen einen deutschen Umsatzanteil am Gesamtauktionsmarkt von drei, der Schweiz von zwei und Österreichs von einem Prozent. Ungleich höher liegt der französische Umsatz mit neun Prozent am Gesamtmarkt. 2022 war für alle deutschen Häuser ein Rekordjahr mit um durchschnittlich um 15 Prozent gestiegenen Umsätzen. Den höchsten Gesamterlös der Big Five verzeichnete Ketterer mit 103 Millionen Euro, gefolgt von Grisebach (73), Lempertz (55), van Ham (40), Karl & Faber (23). Drei von ihnen, Ketterer, Grisebach, Karl & Faber konzentrieren sich auf die Fine-Art-Sammelgebiete Malerei, Skulptur, Papier und Fotografie; Van Ham und Lempertz beziehen als Generalisten auch Schmuck, Uhren, Collectibles von Luxushandtaschen bis zu Sneakers und Decorative Art mit ein, Kunstgewerbe vom Porzellan über Design, Möbel, Keramik, Silber, Art Déco, Tapisserien bis zu Kunstkammer-Preziosen.

Preußen-Auktion und Berliner Salon

Lempertz verfügt zusätzlich über Abteilungen für afrikanische, ozeanische und asiatische Kunst und ist seit 35 Jahren mit einer großen Dependance in Brüssel aktiv. In der Berliner Repräsentanz, die Henrik Hansteins Tochter Alice von Seldeneck leitet, gibt es in jedem Frühjahr eine Preußen-Auktion und den Berliner Salon. „Sammler aus der ganzen Welt kommen dann zu uns“, erzählt Seldeneck, „Menschen mit Liebe zur Berliner Historie und immer mehr junge Sammler, die sich vor allem für museale Designobjekte interessieren“.

Max Beckmann, „Bildnis Rietje & Nelly Lütjens“, 1945, Schätzpreis bei Karl & Faber: 900.000-1.200.000 Euro

© KARL & FABER Kunstauktionen

Auch die Profile der Münchner Häuser Karl & Faber und Neumeister, die Ende Juni versteigern, unterscheiden sich im Punkt klassische Segmentmarke versus Mehrspartenhaus. „In der Altmeistergraphik und der Klassischen Moderne sind wir am stärksten, in der Gegenwartskunst holen wir auf“, erklärt der Geschäftsführende Gesellschafter Rupert Keim, der zum 100. Jubiläum seines Unternehmens unter anderem mit Max Beckmanns, in seiner Spätphase entstandenem Familienporträt „Bildnis Rietje & Nelly Lütjens“ (SP 900.000/1.200,000 Euro) und Ernst Ludwig Kirchners Porträt seines Malerfreunds Robert Wehrlin (SP 600.000/700.000 Euro) punktet.

Alfons Waldes Gemälde „Schwarzsee bei Kitzbühel“ wird im Münchner Auktionshaus Neumeister versteigert.

© NEUMEISTER/Walter Bayer

Mit Spitzenwerken so unterschiedlicher Künstler wie der sommerlichen Landschaft „Schwarzsee bei Kitzbühel“ (Taxe: 120.000-150.000 Euro) des Österreichers Alfons Walde und einer Serigrafie von Banksy, die Basquiat mit seinem Motiv des Krönchens huldigt (60.000-80.000 Euro) demonstriert Besitzerin Katrin Stoll das breit gefächerte Spektrum ihres Hauses: „Wir setzen auf einen Mix, der auch die jüngere Generation anspricht. Wir erreichen sie, wie generell unsere globale Bieterschaft, online. Fraglos trägt die Digitalisierung zur Umsatzsteigerung bei“.

Ein Satz, den alle Versteigerer unterstreichen. Darüber hinaus hat vor allem die Digitalisierung den Auktions-Standort Deutschland oder besser: die DACHregion aus Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz, kommerziell gestärkt. „Deutsche Sammler lieferten hochpreisige Ware früher in London oder New York ein und kauften dort auch deutsche Kunst, die sie dann wieder zurück nach Deutschland importierten“, sagt Markus Eisenbeis. „Nun können sie sich den Umweg sparen und die Transportkosten dazu, denn wir versteigern inzwischen auch hier die Millionen-Highlights“, ergänzt Rupert Keim.

Auch aus diesem Grund haben der Kölner und der Münchner Unternehmer im vergangenen Jahr das neue werbewirksame Format einer „Auction Alliance“ erfunden: Sie präsentieren ihre jeweiligen saisonalen Toplose gemeinsam in den Häusern wie in einem Katalog und auf den Websites. „Mit dieser Vernetzung erhöhen wir unsere Reichweite“, so Keim. Auch Lempertz und Artcurial kooperieren seit vielen Jahren im Luxussegment von Juwelen und Uhren und im Bereich afrikanischer und ozeanischer Kunst. „Artcurial versteigert für uns wertvollen Schmuck in Monaco, wir deren Tribal Art-Objekte in Brüssel“, so Apiarius-Hanstein.

August Mackes „Mann auf Bank“ (1913) erzielte bei Grisebach in Berlin 1.125.000 Euro.

© Grisebach

Bereits im September 2021 etablierte das globale Auktionshaus Sotheby’s im Kölner Palais Oppenheim seinen Deutschlandstandort, um hier auch Auktionen abzuhalten: „Deutschland ist seit langem einer unserer wichtigsten Märkte für Kunst und Luxusobjekte“, erklärt Deutschland-Chefin Franka Haider. Auch Ketterer hat jüngst eine Köln-Dependance eröffnet, jedoch ohne vor Ort zu auktionieren: „Wir wollen unser Engagement für die hiesigen Sammler und Sammlerinnen noch persönlicher gestalten“, sagt Robert Ketterer. Alice Meiré argumentiert für Phillips in Köln mit der „großen Zahl wichtiger deutscher Künstler, die international gesucht sind und Rekordpreise erzielen“. Auch Martin Böhm, Geschäftsführer des Wiener Dorotheum mit einer Dependance in München und Marie Christine Gräfin Huyn, die den Deutschlandstandort von Christie’s in der bayerischen Landeshauptstadt leitet, bestätigen „die wichtige Rolle Deutschlands im internationalen Kunstmarkt, sowohl auf der Seite der Käufer wie der Einlieferer“.

Internationale Häuser drängt es nach Deutschland

Aus ähnlichen Erwägungen übernahm das französische Haus Artcurial gerade das Schweizer Auktionshaus „Beurret Bailly Widmer Auktionen“ mit Sitz in Zürich – „nicht Genf, was man eher hätte erwarten können“ so Europa-Direktor Martin Guesnet. „Artcurial Beurret Bailly Widmer“, wie wir uns nun nennen, ist unser neuer Trumpf, um im deutschsprachigen Raum stärker aufzutreten“. Selbst das britische Haus Bonhams, seit fünf Jahren im Besitz der Private Equity Firma Epiris, die zuletzt durch Zukäufe des schwedischen Auktionshauses Bukowskis und des dänischen Bruun Rasmussen ihre Präsenz in Europa stärkte und nun Bonhams für angeblich eine Milliarde Dollar verkaufen will, betont, wie wichtig der Münchner Standort ist.

Vielleicht gelingt es dem deutschsprachigen Auktionsmarkt gerade dank der multimilliardenschweren internationalen Kollegen, weiterzuwachsen - und sich so Frankreich ein bisschen anzunähern. Konkurrenz belebt das Geschäft.

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