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Kultur: "Tosca": Die Diva gibt Autogramme

Ihrem Publikum einfach die Wahrheit zu sagen, hat sich Hamburgs Staatsoper dann doch nicht getraut: Statt den Einkauf von Robert Carsens gerühmter Antwerpener "Tosca"-Produktion als Musterbeispiel ökonomisch und künstlerisch verantwortungsbewusster Spielplanpolitik herauszustellen, verschweigt das Haus lieber, dass sich am Bühnenbild dieser zweiten Saisonpremiere schon ein ein paar Tausend flämischer Opernbesucher sattgesehen haben. Das ist nicht gerade mutig und noch dazu völlig unnötig.

Ihrem Publikum einfach die Wahrheit zu sagen, hat sich Hamburgs Staatsoper dann doch nicht getraut: Statt den Einkauf von Robert Carsens gerühmter Antwerpener "Tosca"-Produktion als Musterbeispiel ökonomisch und künstlerisch verantwortungsbewusster Spielplanpolitik herauszustellen, verschweigt das Haus lieber, dass sich am Bühnenbild dieser zweiten Saisonpremiere schon ein ein paar Tausend flämischer Opernbesucher sattgesehen haben. Das ist nicht gerade mutig und noch dazu völlig unnötig. Denn im Falle der "Tosca" befinden sich alle Opernhäuser in der gleichen Verlegenheit. Das Stück muss um des Publikums willen nun einmal gespielt werden, gleichzeitig findet sich aber kaum ein Regisseur, dem zu Puccinis naturalistischem Brutalo-Thriller mehr einfällt, als die Machenschaften des päpstlichen Polizeichefs Scarpia mit ein wenig Schwarzhemden-Fascho-Chic neu zu drapieren. Was also läge näher, als einfach die gescheiteste "Tosca" der letzten zehn Jahre ins eigene Haus zu holen?

Natürlich kommt auch Carsen nicht um die minutiöse Verzahnung von Text und illustrierender Musik herum, die eine freiere Interpretation im Sinne des Regietheaters fast unmöglich macht. Der Kanadier entgeht jedoch der Gefahr einer Wiederholung der ewig gleichen Spielhandlung durch einen einfachen Kunstgriff: Seine "Tosca" spielt auf dem Theater, die Engelsburg-Zinne wird zur Bühnenrampe, und die Opernsängerin Floria Tosca zur Diva, die nach ihrem Auftritt ihren Fans Autogramme gibt. Ein Distanzierungskonzept, das für die "Tosca" verblüffend gut aufgeht: Ist das vor 100 Jahren uraufgeführte Stück doch die Divenoper schlechthin, läuft bei jedem eingefleischte Opernfan im Psychoduell zwischen Tosca und Scarpia parallel zur Bühnenhandlung auch die berühmteste aller "Tosca"-Inkarnationen, die Aufzeichnung des zweiten Aktes mit Maria Callas und Tito Gobbi auf der Hinterbühne des privaten Kopftheaters ab.

Carsen versucht gar nicht erst, diese Idealkonkurrenz zu toppen, sondern inszeniert sie einfach mit. Sein Scarpia, der souverän mit kontrollierter Dämonie spielende Franz Grundheber, sitzt am vergoldeten Prunkschreibtisch und trinkt seinen "Vin di spagna" wie seit ehedem, das marmeladenrote Theaterblut darf aufs weiße Hemd spritzen, so wie es von Met bis Scala gute Opernsitte ist. Oper wird als Oper vorgeführt, als hochstilisiertes Effekttheater bewusst gemacht - und wirkt trotzdem.

Vielleicht gerade weil das Durchdringen von naturalistischem Spiel und demonstrativem Stil dem Werk eine zusätzliche Spannungsdimension hinzugewinnt. Denn obwohl die Theatersituation schon allein durch Anthony Wards Bühnenbilder immer präsent ist, steht diese Kunstwelt der Abstraktionsfähigkeit des Betrachters doch nirgends im Weg - sie stimuliert sogar, weil sie die Raumdispositionen herkömmlicher Inszenierungen integriert: Das Opernparkett des ersten Aktes lässt sich als Kirchenraum ebenso glauben wie die leere, gedrehte Bühne des dritten Aktes mit ihrem grellen Mondscheinwerferlicht als Engelsburg. Das Melodram gewinnt seine emotionale Augenblicks-Intensität ganz ohne den (ohnehin längst zum Bühnenkitsch verkommenen) pathetischen Naturalismus der Tradition, bei Toscas Sprung über die Bühnenrampe ins imaginäre schwarze Auditorium denkt man endlich einmal nicht daran, ob dort vielleicht ein Trampolin bereitsteht.

Eine beruhigende Erkenntnis: Das Stück siegt über seine Rezeption, die musikalische und szenische Substanz über den polyglotten Divenkult und die vorgeprägte Erwartungshaltung des Publikums. Das funktioniert in Hamburg auch, weil Carsen seinen darstellern ein detailgenaues Spiel einstudiert hat. Seine Tosca (sehr sexy und mit rauchigem Leontine-Price-Sopran: Isabelle Kabatu) ist eben nicht nur Kunstfigur im Pelzmantel, sondern zugleich auch eine Frau von Mitleid erregender, fast kindlicher Naivität, die noch im letzten Akt ihrem Cavaradossi mit weit ausholenden, nachspielerischen Gesten von ihrem gerade begangenen Mord erzählt.

Den gleichen Versuch, Werk und Werkklischee zu trennen, leistet auch Ingo Metzmacher mit seinen Hamburger Philharmonikern - und auch musikalisch funktioniert das Konzept der Rettung des Theatereffekts durch seine bewusste Ausstellung. So scharfkantig hat Puccinis Werk wohl nur selten geklungen. Überdeutlich schieben sich bei reduzierter Streicherbesetzung die Bläser vom brutal ausgewalzten Eingangsakkord an ins Hörbild, betont Metzmacher gerade plakativ illustrierende Passagen (wie den puppigen Glockenspiel-Einsatz bei Toscas idyllischer Liebesvision im Duett des ersten Aktes), markiert den Showcharakter von Auftritten durch überdeutliche Zäsuren und Tempowechsel. Und doch springt auch bei ihm der "Tosca"-Funke über.

Sollte sich eine dritte Stadt entschließen, diese Inszenierung kaufen zu wollen, müsste sie Metzmacher gleich mitverlangen. Nur wird Hamburg weder das eine noch das andere hergeben.

Jörg Königsdorf

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