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Kultur: Totalitarismus-Forschung: Kalte Krieger (Kommentar)

Die aktuelle Meldung liest sich undramatisch. Der Vertrag von Klaus-Dietmar Henke, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismus-Forschung in Dresden, wird nicht verlängert.

Die aktuelle Meldung liest sich undramatisch. Der Vertrag von Klaus-Dietmar Henke, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismus-Forschung in Dresden, wird nicht verlängert. Henke wird 2002 wieder als Historiker an die Universität zurückkehren - was dann aus dem Institut wird, ist ungewiss. Denn es geht nicht nur um eine Personalie, sondern um fundamentale Fragen: Wie viel Einfluss darf Politik auf Wissenschaft nehmen? Womit soll sich Totalitarismus-Forschung in Deutschland beschäftigen: eigentlich nur mit der DDR? Oder auch mit dem Nationalsozialismus?

Die Ablösung von Henke, der als "Sozialliberaler" gilt, ist das vorerst letzte Kapitel in der "Elser-Affäre". Die Kurzfassung dieser Geschichte geht so: Ein Mitarbeiter des Instituts veröffentlichte einen recht unausgegorenen Text, in dem er die moralische Legitimität des Hitler-Attentäters von 1939 bestritt. Henke war gegen den Text, Uwe Backes, der nationalkonservative stellvertretende Direktor des Instituts, dafür. Links gegen rechts, der Streit eskalierte rasch, weitere Zusammenarbeit unmöglich. Bisher schien eine Lösung in Sicht: Backes sollte, so die Idee von Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU), zum Professor hochgelobt werden. Doch diese Lösung scheint nun, auf Betreiben von Kultusminister Matthias Rößler (CDU), gescheitert. Ein Revanchefoul.

Dem Kuratorium, das den unbotmäßigen Direktor vor die Tür gesetzt hat, scheint die ganze Richtung des Instituts nicht zu passen. Zu wenig DDR-Forschung lautet ein Vorwurf - doch wer sich die Arbeit des Instituts unter Henke anschaut, findet kaum etwas zur NS-Zeit. 21 Publikationen zur DDR, drei zur Nazizeit - darunter ist auch die für das Institut wesentliche Erforschung der Geschichte der Dresdner Bank. Doch auch das scheint die Anti-Henke-Koalition nicht vom rechten Weg abzubringen. Der nahe liegende Verdacht lautet, dass das Institut, wie die "FAZ" vermutet, mehr "Nützlichkeit für die (Tages)-Politik" abwerfen soll. Und die bestimmt in Sachsen die CDU.

Diese Affäre ist ein fortwährendes Spiel von Intrigen und Gegen-Intrigen - und mehr. Es zeigt, ähnlich wie kürzlich Horst Möllers Laudatio auf Ernst Nolte, dass manche Konservative an der Geschichtsfront noch immer im Schützengraben hocken. Denn eigentlich könnte die Debatte um das Verhältnis von Kommunismus und Nationalsozialismus heutzutage entspannter verlaufen. Die Block-Konfrontation ist seit zehn Jahren vorüber, die ideologische Überwölbung im Grunde überflüssig geworden. Könnte, sollte, wäre. In Dresden scheint der Kalte Krieg noch nicht zu Ende zu sein.

Vor knapp 50 Jahren veröffentlichte Hannah Arendt ihre Studie "Ursprünge und Elemente des Totalitarismus". Das Buch wurde, vor allem in den 50ern, viel zitiert und wenig gelesen. Denn Arendts differenzierten Vergleich stalinistischer und nazistischer Herrschaft benutzte die "Rot gleich Braun"-Fraktion kurzerhand als ideologische Munition. Dafür reichte meist der Klappentext. Genauer gesagt: Das Buch war dafür unbrauchbar. Es ist eine ironische Wendung, dass dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung nun ein ähnliches Schicksal wie "Ursprünge und Elemente" droht - die Indienstnahme der Wissenschaft für politische Zwecke.

Stefan Reinecke

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