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Bloß nicht aufregen. Überdimensionale Skibrille mit dem Logo des Skigebiet „Ischgl“.

© dpa/Expa

Tourguide in die Alpenmentalität: Markus Köhles Romandebüt

In Tirol ist es doch am schönsten schrecklich. So erzählt es Markus Köhle, autobiografisch grundiert, in „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts“

Von Konstantin Ames

Die Dichter, heißt es bei Nietzsche „sind gegen ihre Erlebnisse schamlos: sie beuten sie aus“. Lukas, der Protagonist von Markus Köhles Debütroman, erkennbar ein Alter Ego seines Schöpfers, ist „Slampoet im Dienste der Auslandsgermanistik“. Im Brotberuf Touristik-Texter, hat er sich selbst zur „Verwortung Österreichs“ ermächtigt. Er wird eingeführt als tief verunsicherter Achtsamkeitsschwätzer, der es „feinhaben“ will.

Zugleich gewinnt Lukas als sensibler Außenseiter Tiefenschärfe, wenn wir erfahren, warum er es in der Dorfenge nicht mehr aushält. Es gilt, den Neuen aus dem „Arbeiterheim“ auf seinen Platz zu verweisen, um „Klassenschnellster“ zu bleiben. Als Ministrant, als „Miniberufener“, muss er sich dem brutalen Ortspfaffen fügen. Wir gewinnen ein plastisches Bild einer armutsbetroffenen Dorfkindheit und Isolationsjugend.

Satire auf Bösterreich

Köhle, 1975 in Tirol geboren und seit 2004 in Wien zu Hause, bewegt sich mit „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts“ auf dem Terrain der Alpenraumsatiren zwischen den TV-Serien „Piefke-Saga“ und „Bösterreich“. Köhle tippt dabei alle soziokulturellen Streitfälle (Gender, Migration, Corona) an und flicht eine satte Literaturbetriebssatire ein: Lukas soll zum Zwecke der Tourismusförderung der erste Träger eines fiktiven, doch nach dem realen Dramatiker Franz Kranewitter benannten Preises werden.

Dem Geehrten kommt vor Abstattung der Dankesworte im Gemeindesaal von Köhles Geburtsdorf Nassereith, die titelgebende Idee: „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts – […] Das wäre ein super Buchtitel für einen Herkunfts-, Entwicklungs- und Dorfroman, denkt er sich. Das klingt nach Zukunftsprojekt […]“ Eleganter als das Winken mit postmodernen Diskursen wirkt das Spiel mit dem Feuer der Autofiktion, wenn Köhle seine eigene Slam-Poesie einem Posencheck unterzieht: „Aber die österreichische Version von ,The Hill We Climb‘ muss natürlich ,Der Berg, der wir sind‘ heißen. Natürlich. Und wie klingt das nun als Ganzes?“

Seine Suada ist gleichermaßen als poetische Figurenrede und oulipistische Dichterlesung gestaltet: „Wir wissen, dass alle, die nicht Österreicher*innen sind / Zumindest gern in Österreich leben wollen würden […] Und wenn wer den Ski-Pass bezahlt hat, sind bei uns alle gleich / So ist Österreich […] Springen wir über den Schatten des Berges, der wir sind/ Und werden wir endlich die Kulturnation/ Die wir vorgeben zu sein// Und irgendwann dann, Oida […] Sind wir in einem offenen Wir daheim“.

Splatter und Tragikomik

Die durch Dialekt und Floskeln gestiftete Mündlichkeit vitalisiert ein ums andere Mal die Handlung. Die Grimmigkeit im Umgang mit den „Silzer-Sulz-Sausen-Contest-Teilnehmer*innen“ ist eine gelungene Mischung aus Thomas Bernhard und Erster Allgemeiner Verunsicherung. Splatter und Tragikomik schließen einander bei alledem nicht aus. Köhle bietet einen hyperrealistischen Tourguide in die Alpenmentalität. Trotz Infektion der Erzählerstimme mit dem „fashionable nonsense“, wie Alain D. Sokal das postmoderne Denken genannt hat, ein Unsinn, der auch auf die Figuren übergreift: ein weltsüchtiges Romandebüt.

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