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Kultur: Träumer auf großer Fahrt im Berliner Tacheles

Cool wollen sie sein, die vier Männer im neuen Tanzstück "The Lefthanded Man" von Alex B. Am Anfang zeigen sie, in einem Lichtkegel, nur Rücken.

Cool wollen sie sein, die vier Männer im neuen Tanzstück "The Lefthanded Man" von Alex B. Am Anfang zeigen sie, in einem Lichtkegel, nur Rücken. Durchtrainiert inszenieren sie, zum hörbaren Entzücken vor allem des weiblichen Publikums, ein feines Muskelspiel. Kritisch prüfen sie sich auf eventuell ansetzende Fettpölsterchen. Standhalten ist alles; wer ausweicht, hat verloren. Sie nehmen Maß aneinander und reißen sich gegenseitig in rüde Schleudertänze.

Tough guys wollen sie sein, die vier Charaktertypen (Jean-Marc Lebon, Jorge Morro, Mathew Thomas und Nikolaus Witte) und sind doch, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, heimliche Sehnsuchtsschiffer. Es ist der Fünfte im Bunde (Marko E. Weigert), der titelgebende linkshändige Mann, der sie immer wieder daran erinnert. Skeptisch beäugt von den anderen, kreuzt er die Szene, markiert einige schnelle, emotionale Tänze. Irritiert und verunsichert knöpfen die andern sich ihn schließlich vor, wirbeln ihn herum, spielen ihn sich gegenseitig zu wie einen hilflosen Ball.

Es sind die Männer, die es den Choreographinnen in dieser Spielzeit offenbar besonders angetan haben. Fasziniert zeigt sich auch Alex B. von dem Widerspiel von öffentlichem Auftreten und verborgener Leidenschaft. Was die coolen Typen in ihren schicken Anzügen zeigen, ist nicht das, was sie in den verborgenen Gründen ihrer Seele sind. Dabei konzentriert sich Alex B. in ihrem gut einstündigen Stück nur scheinbar auf die Klischeebilder.

Von Anfang an legt sie poetische Spuren aus, die in eine andere Richtung weisen. "The Lefthanded Man" ist weniger eine Sozialstudie über Männer in einer Bar als ein Ausflug in innere Landschaften. In einem unbeobachteten Moment stapelt einer lauter kleine Papierschiffchen auf einem Tisch. Von einem Kompagnon gehalten, steht er armrudernd wie eine Galionsfigur auf der Platte, ein Träumer auf großer Fahrt. Auch über eine gute Portion Humor verfügen die Jungs, wenn sie perfekt amerikanische Filmmachos imitieren oder zu leichtem Swing an der Theke mit den Füßen wippen und zweideutig mit den Hüften kicken. So ernst, wie sie anfangs erscheinen, nehmen sie sich am Ende selber nicht.

Mehr und mehr gewinnen die poetischen Bilder die Oberhand. Was am Anfang noch ein wenig fahrig und dramaturgisch zersplittert wirkt, fügt sich in der zweiten Hälfte zu immer größerer Dichte. Die Tänze, zunehmend zum Boden stürzend, nehmen an Tempo zu, und auch das Publikum wird mehr und mehr einbezogen. Man offeriert Drinks, fordert schließlich zum gemeinsamen Tanz. Aus dem Bühnenhimmel regnet Sand, und zwei erproben, an Seilen schwingend, schon mal die Leichtigkeit des Seins. Auch der Outcast findet sich in einem turmverloren schönen Duett, bei dem er den Kopf des Partners stützt und hält. Schließlich fließt aus der riesigen Theke ein Schwall von Sand. Die Dämme sind gebrochen.

Alex B. hat mit ihrer Besetzung fünf ausgeprägte Charaktere gefunden, die souverän agieren und auch in den Spielszenen keine Schwächen zeigen. Auch die Musik des Duos dodo mel. findet nach anfänglicher Sprödigkeit zur kongenialen Mischung aus Geräuschen und verfremdeten Songs. Einziger Schwachpunkt ist das Licht von Klaus Dust, das die Szene allzu lange in undeutlichem Zwielicht hält, um dann in einem Feuerwerk zu vieler Farben zu enden. Etwas deutlicher möchte man diese Männerlandschaft schon erkunden.Tacheles, bis 19. Dezember und 19. bis 23. Januar, jeweils 21 Uhr

Norbert Servos

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