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Kultur: Tranquillo

Mosse Lectures: Der Dirigent Claudio Abbado spricht mit seinem Freund, dem Schauspieler Bruno Ganz, über „Musik und Politik“. Oder schweigt er nicht vielmehr?

Von Gregor Dotzauer

Durch wen, wenn nicht durch ihn sind Glanz und Elend des Menschengeschlechts ein Leben lang hindurchgeströmt: das Zittern, das Zagen, das Aufbegehren, das Trotzen, das Jubilieren, der Rausch – das Denken und Fühlen einsamer Herzen und die Vision einer idealen Gemeinschaft. Denn als Dirigent ist Claudio Abbado der Inbegriff einer vermittelnden künstlerischen Instanz. Ein Mann, der mit der Landschaft einer Partitur vor Augen seinem Orchester begegnet, die Hände aufhält und das, was er empfängt, sofort weitergibt. Und weil man weiß, dass der belesene Claudio Abbado viele musikalische Sprachen spricht, stellt man sich außerdem vor, dass seine polyglotten Fähigkeiten auch ins Begriffliche reichen müssten. Aber als er am Donnerstagabend im Audimax der Humboldt-Universität zu Gast war, und, flankiert von Bruno Ganz und Ulrich Eckhardt, bei den Mosse-Lectures über „Musik und Politik“ sprach, da saß auf einmal der scheuste, sprödeste, uneloquenteste Italiener, der je auf Erden gewandelt sein dürfte. Ein höflicher älterer Herr, dem man Steine von der Zunge hätte wälzen müssen, um ihm auch nur etwas von der Emphase zu entlocken, die er, wovon vier musikalische Beispiele zeugten, mehrfach ins Werk gesetzt hatte. Vielleicht war er, kurz vor seinem 78. Geburtstag, aber auch von Mahlers „Lied der Erde“, das er am Abend zuvor hatte aufblühen lassen, zutiefst erschöpft.

Einst bildete er zusammen mit Luigi Nono und Maurizio Pollini einen linken Dreizack. Stücke wie Nonos auf „Letzten Briefen zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand“ beruhendes Chorwerk „Il canto sospeso“ (1956) verankerten antifaschistische Traditionen in der Musik. Einst, in der Silvesternacht des Jahres 1989, da führten Ganz und Abbado am Gendarmenmarkt die Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ auf. Das Publikum tobte, als Ganz deklamierte: „Die Tore spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stürzt von ihren Händen ein, und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen.“ Die Gunst der Stunde hatte den Worten einen neuen Sinn verliehen.

So unvergleichbar die Beispiele: Abbado, der in Italien gerade erst einen publizistischen Kampf gegen die Kürzung von Kultursubventionen führte, hatte eher Kulturpolitisches im Sinn als Fragen nach dem Verhältnis von Politik und Ästhetik, wie sie Eckhardt stellte. Und Praktisches wie Jugendarbeit und soziales Engagement: Das von einem seiner vielen Klangkörper, dem Orchestra Mozart, initiierte Projekt TAMINO – ein Akronym für „Terapie e Attività Musicali Innovative Oggi“ – schickt Musiker in Krankenhäuser und Gefängnisse. Eine Geste allgemeiner Humanität, die gar nicht politisch definiert sein will. Gregor Dotzauer

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