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Kultur: Trash oder Cash

Gesichter einer Straße: Der Werbefotograf Jo Jankowski zeigt die Menschen der Kastanienallee in der Galerie Walden

Vor fünfzehn Jahren landete auf der Kastanienallee, die damals nur ein dunkler Schlauch nach Mitte war, ein Café-Ufo, das den Ureinwohnern gleich verdächtig vorkam. Es sah aus wie die spätere Studiokulisse von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, pinkfarben und chromblitzend, und war der erste Ort, an dem es Milchkaffee gab. „Wir warten auf das bessere Publikum“, erklärte der Besitzer forsch einem Radiosender und wurde fortan mit abgrundtiefer Verachtung gestraft.

Heute ist es endlich da, das vermeintlich bessere Publikum. Bei Caffe latte und Brownies überlegt es, erstmals schwarz zu wählen, was Gesellschaftskorrespondenten überregionaler Zeitungen am Nebentisch eifrig notieren. Aber um das alte aufgetakelte Café machen auch die neuen Kastanienallee-Benutzer einen großen Bogen. Zu sehr erinnert es an den westdeutschen Kleinstadtmuff, dem man gerade erst entflohen ist. Trotzdem existiert das Café La Boum tapfer weiter. Und ist damit typisch für die ganze Straße, die alle Schichten ihrer Häutung zum hippen Boulevard souverän zu konservieren scheint.

Angefangen bei der 1993 eröffneten Bar Schwarzsauer, in der früher die Schriftstellerin Judith Hermann hinterm Tresen stand, bis zum jüngst eröffneten Eiscafé Napoljonska, betrieben von Familie Hübchen, deren Oberhaupt Henry gerade mit dem Deutschen Filmpreis geehrt wurde. Dazwischen reihen sich ein HareKrishna-Tempel, der erfolgreichste Ostverlag, Volksküche, Prater, Tanzetage, Bordell, Kino, Galerien und natürlich jede Menge Futterkrippen und Retrodesign-Schnickschnackläden: ein fröhliches Nebeneinander wilder Gewerbepflänzchen, das in seiner bunten Vielfalt die Abwesenheit bekannter Markennamen vollkommen vergessen lässt.

Der Fotograf Jo Jankowski hat ein wenig Licht in dieses Unterholz gebracht. Für die hier in einem ehemals besetzten Haus ansässige Galerie Walden porträtierte er ausgewählte „Macher“ der Kastanienallee. „Wir wollten zeigen, dass diese Straße trotz der rasanten Entwicklung immer noch wie ein großes Dorf funktioniert“, sagt Hendrik Lehmann von der Galerie Walden. Man kennt sich in der Kastanienallee, zumindest vom Sehen, und man spricht auch öfter miteinander.

Der unbestrittene Kirmesplatz dieses „Dorfes“ ist der Pratergarten. Es ist der älteste Biergarten Berlins, seit mehr als 160 Jahren wird hier im Sommer der Durst vom Zapfhahn gelöscht. Thomas Rothe, der auf Janowskis Foto aussieht wie der jüngere Bruder des Philosophen Michel Foucault, hat das viele Jahre im Koma liegende Gelände 1996 wiederbelebt. Inzwischen brummt es gewaltig – auch dank der Volksbühne. Sie betreibt im Prater nebenan, einem früheren sozialdemokratischen Kulturhaus, ihre Nebenspielstätte. Dank René-Pollesch-Aufführungen in Serie ist sie längst zur überregionalen Adresse geworden.

Zuerst war es Laura Kikaukas Club Schmalzwald, dann der Bastard-Club. Inzwischen ist eine von Donnerstag bis Samstag geöffnete Champagner-Bar dazugekommen. Der aus Köln zugewanderte Thekenpapst Schlampenhorst hat sie neu etabliert. Horst Cieslik hat auch den Roten Salon der Volksbühne gepachtet, so schließt sich der Kreis. Man kennt sich. Auf einem Foto von Jankowski sieht man Rothe und Cieslik, die Erfolgsgastronomen des Kiezes, in trauter Zweisamkeit Dom Perignon schlürfen. Aus der Flasche. Merke: Für manche wurde die Kastanienallee zur Cash-Allee.

Aber eben nur für manche. Die Kastanienallee 86 ist eine Art Gegenmodell. Ein ehemals besetztes Haus, buntbemalt und efeuumrankt. In der Hofeinfahrt liegen schlappe Salatköpfe zur Schau – zum Mitnehmen für Bedürftige. Und jeden Dienstagabend veranstalten zwei Punks – Alice und Mario – hier Volksküche. Er kam aus Sachsen, sie aus Tschechien als Au Pair: Die beiden fanden sich in der Kastanienallee, wo sie seitdem kochen. Das Abendessen aus dem Topf kostet 1,50 Euro.

Die Berliner Tafel tagt im Keller des Hauses und steht für die Liebe in der Straße. Der Rest der Kastanienallee sei Luxus und Anarchie, findet das Paar. Oder Frauenpower, meinte Jo Jankowski und portraitierte die drei Damen vom Friseursalon Vokuhila in ihrem Schaufenster und beim Haareschneiden. Nach dem Hausnummernprinzip tauchen sie in der Ausstellung direkt neben dem Schwarz-Sauer auf. K16/17 folgt auf K13. Schwarz-Sauer auf „Vorne kurz, hinten lang“.

Der nach einer Achtzigerjahre-Frisur benannte Salon scheint wie geschaffen für das jüngste Mode-Revival: Ein Beispiel für die stete Eroberung der Kastanienallee durch die Mitte-Hipster. Vergangenes Jahr schlurften schließlich auch hier fast alle Frauen mit schulterfreien Bündchen-T-Shirts, Badelatschen und Fön-Frisuren durch die Straße. Und endlich konnten sich auch die Frauen aus der Poser-Bar 103 die Haare in der eigenen Straße stylen lassen. Vokuhila selbst versteht sich dabei gar nicht als Szenetreff, sondern als „Plattform für Kiezkultur“. Das klingt schon mal ganz anders. Außerdem ist der Friseursalon nicht neu, sondern schon 75 Jahre alt. Vom früheren Pächter haben die Friseurinnen Nadine und Claire noch das Handwerk gelernt. Den Namen des Salons änderten sie, nicht aber das Konzept. Die Inhaberinnen führen nach wie vor einen Salon für „Jung und Alt“. Dass es in der Straße keine Altersmischung mehr gibt, finden sie schade. Eine Oma beim Eis essen trifft man vielleicht am ehesten im Café Napoljonskaja, das drei Frauen mit viel Liebe eingerichtet haben: eine Pastellwelt aus Kuchen, Schlagsahne und Schokostreuseln.

Die Ausstellung „Another Street in Berlin“ zeigt eine Straße, in der tolle Frauen tolle Läden aufmachen, in der Musik komponiert wird und Menschen Bücher verlegen, wie der Ostalgie-Verleger Schwarzkopf. Zu bestimmten Tageszeiten mag die Kastanienallee zur Castingallee verkommen. Es gibt aber auch den anderen Straßenentwurf: Das chaotische Nebeneinander. Yussuf und Fatma vom Chorum Discount verkaufen ihr Gemüse neben dem Studio des Musikers und Graffiti-Künstlers Mr. Hip Hop alias Bob. Rudi Moser, Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten, lebte lange neben den polnischen Fachkräften vom Massagesalon mit den blinkenden Herzchen in der Fensterscheibe und ist mit seinen weißen Schuhen hier noch vielen bekannt. „Hätte eine schöne Straße werden können,“, gibt er im Ausstellungskatalog lakonisch zu Protokoll. Aber die Pioniere seien schon wieder weggezogen.

Der 1965 geborene Jo Jankowski hat diese Nachbarschaft in Schwarz-weiß fotografiert und ganz klassisch auf Baryt-Papier abgezogen. Auf große Formate verzichtet der Werbefotograf absichtsvoll. Seine Fotografien hängen wie beiläufig auf den unverputzten Wänden der im Souterrain versteckten Galerie Walden, die vor der Wende eine Punk-Kneipe namens Red Pub war. Seinen Anspruch formuliert er so: „Die Suche nach dem Wahren im Schein.“ Diese Wahrheiten liegen nicht im Demaskieren oder Denunzieren. Die Porträtierten inszenieren sich auf den mal wie Schnappschüsse und mal durchkomponiert wirkenden Fotos selbst. Der Verzicht auf Farbe in dieser sich als bunt verstehenden Straße verleiht den Fotos etwas eigentümlich Historisches: Als seien es Bilder einer längst vergangenen Zeit und nicht Momentaufnahmen der Gegenwart. Aber an manchen Orten vergeht die Zeit eben schneller als anderswo.

Ausstellung: „Another Street in Berlin“bis zum 14. August in der Galerie Walden, Kastanienallee 86. Nur Fr., Sa., So von 16–20 Uhr. Katalog 25 €. www.galerie-walden.de

Katja Bigalke

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