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Go with the flow. Szene aus „Son of Gone Fishin’“, das den wunderbar fließenden Tanzsstil Trisha Browns illustriert.

©  Ian Douglas

Trisha Brown in Berlin: Noch einmal auf die Wolke

Die Akademie der Künste Berlin zeigt Schlüsselwerke der Choreografin Trisha Brown. Die Company wird sich zwar nicht auflösen, aber Browns Arbeiten werden nicht mehr aufgeführt.

Von Sandra Luzina

Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Als die Choreografin Trisha Brown 1976 zum ersten Mal in der Berliner Akademie der Künste auftrat – im Rahmen der Ausstellung „New York SoHo Downtown“ – waren die Zuschauer befremdet. Diese alltäglichen, nüchtern ausgeführten Bewegungen sollten Tanz sein? Acht Jahre später, 1984, ist alles anders. „Set and Reset“ zu Musik von Laurie Anderson im Set von Robert Rauschenberg wird für viele zur Offenbarung. Trisha Brown spielt mit Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit, was durch Rauschenbergs Bühnenbild und die transparenten Kostüme noch betont wird. Ihr unverwechselbarer Stil kann hier bewundert werden: Die klar geometrischen Raumstrukturen verbindet sie mit einer wunderbar fließenden Bewegungsqualität. Das unablässige Strömen der Energie erinnert an Wellen oder an ein Perpetuum mobile. Go with the flow – auf diese Formel kann man ihre Philosophie bringen.

Mit „Set and Reset“ war Trisha Brown, die die Wahrnehmung von Tanz so radikal verändert hat, sicht- und fassbar geworden für die Berliner. Auch andere Große des amerikanischen Postmodern Dance wie Lucinda Childs oder Steve Paxton wurden hier gefeiert. Doch Trisha Brown war Berlin besonders verbunden – auch weil Nele Hertling sie regelmäßig einlud. Die Entwicklung der Tanzikone konnte so mitverfolgt werden.

Die Werke von Trisha Brown werden gefeiert

Zum 20-jährigen Jubiläum von „Tanz im August“ 2013 wurde eine Auswahl aus den „Early Works“ im Hamburger Bahnhof gezeigt. Überraschend frisch wirkten die Tanzminiaturen, die zwischen 1968 und 1975 entstanden und oft von einer simplen Regel und deren Abwandlung ausgehen oder – wie das berühmte „Accumulation“ – auf mathematischen Prinzipien basieren. Trisha Brown selber war das letzte Mal 2008 in Berlin. In einem Gespräch mit Nele Hertling erzählte sie sehr anschaulich und lustig von den frühen Experimenten und von der Zusammenarbeit mit Robert Rauschenberg und anderen Künstlern. Ihre kreative Neugier, ihren Forschergeist hat sie sich bis zuletzt bewahrt.

Wenn die Trisha Brown Dance Company jetzt vom 23. bis 26. April in der Akademie der Künste auftritt, ist das eine Art Abschied: Zum letzten Mal hat das Publikum die Möglichkeit, Schlüsselwerke ihres Bühnenrepertoires zu sehen. Nach 2015 löst sich die Company zwar nicht auf, aber die Bühnenstücke werden nicht mehr aufgeführt. Auch wenn es ein trauriger Anlass ist: Es geht darum, die Werke von Trisha Brown zu zelebrieren, wie Caroly Lucas betont. Seit Trisha Brown sich 2013 aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat, leitet sie zusammen mit Diane Madden die Company. Die Frage, wie zeitgenössische Tanzwerke bewahrt werden können, stellt sich immer dringender. Man denke an Pina Bausch oder Merce Cunningham, dessen Company sich zwei Jahre nach dem Tod des Meisters aufgelöst hat.

Finanzierungs-Frage: Ohne Einnahmen keine Company

Trisha Brown, erzählt Lucas, habe zwar den Wunsch geäußert, dass die Company so lange wie möglich weitertanzen soll. „Aber wenn man keine neuen Arbeiten hat, ist es schwer, eine Company zusammenzuhalten und auf integre Weise weiterzuarbeiten“, sagt sie. Letztlich hängt alles an der Finanzierung: Ohne Einnahmen aus dem Tourneegeschäft kann sich die Company nicht über Wasser halten.

Lucas, die 1984 als Tänzerin zur Trisha Brown Dance Company stieß und später als choreografische Assistentin von Brown arbeitete, kümmert sich schon seit Jahren zusammen mit anderen Getreuen darum, das Repertoire lebendig zu halten. Derzeit experimentiert die Truppe mit einer neuen Aufführungspraxis, die sich „Trisha Brown: In Plain Site“ nennt. Die „Early Works“ werden neu kombiniert mit Ausschnitten aus den Bühnenwerken und an unterschiedlichen Orten präsentiert, etwa der Judd Foundation. Der 1994 verstorbene Minimalist Donald Judd hat mehrfach das Set für Browns Stücke entworfen, erstmals 1981 in „Son of Gone Fishin’“, das auch in Berlin zu sehen ist.

Berauscht vom himmlischen Flow

Dank der Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes ermöglicht die Akademie der Künste jetzt eine letzte Begegnung mit Schlüsselwerken von Trisha Brown. Das Programm A präsentiert neben „Son of Gone Fishin’“ auch „Solo Olos“ (1976), „Rogues“ (2011) und eine von der Akademie koproduzierte Rekonstruktion von „Present Tense“ (2003), die in Berlin Premiere haben wird. In der Choreografie zu Musik von John Cage und im Bühnenbild von Elizabeth Murry kann man sich an dem himmlischen Flow berauschen. Das Programm B zeigt einige der „Early Works“, die für ungewöhnliche Orte wie Lofts oder Kunstgalerien geschaffen wurden.

Trisha Brown wollte immer die Strukturen sichtbar machen, die die Bewegung organisieren. Ihre Stücke zu betrachten ist sowohl ein visuelles wie intellektuelles Vergnügen. Mit der Zeit wurden die Strukturen immer komplexer. Das kann man auch bei den in Berlin gezeigten Arbeiten gut verfolgen. Bei „Son of Gone Fishin’“ hat sie sich an dem Querschnitt eines Baumstammes orientiert. Bei „Present Tense“ hat sie sich eine Wolke vorgestellt, „die eine Gruppe von Leuten aufnimmt und sich mit ihnen durch die Luft bewegt“. Leichtigkeit, das wusste Trisha Brown, ist nicht nur etwas Physisches. Nun kann man ein letztes Mal mit ihr auf einer Wolke schweben.

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