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Kultur: Triumph der Gegenwart

Die Architektur-Biennale von Venedig konzentriert sich auf Bauten und Entwürfe von heute. Nur der deutsche Beitrag will vom Kampf um neue Aufträge nichts wissen

Von Bernhard Schulz

Eine solche Invasion der kommenden Generation haben Venedigs Giardini während der Vorbesichtigungstage der Architekturbiennale selten gesehen. Doch den Organisatoren des Deutschen Pavillons war es gelungen, allen 200 an dem von Kommissarin Hilde Léon verantworteten Projekt „NEXTliegend“ beteiligten Architekturstudenten nebst Anhang Zutritt zu den Giardini zu verschaffen, und so wuchs die erste Besichtigung des Deutschen Pavillons zu einem der größten Feste dieser Biennale an.

Die „8. Internationale Architekturausstellung“ – wie die im Rahmen der Biennale-Organisation ausgerichtete Veranstaltung offiziell heißt – versammelt Beiträge aus 37 Ländern in den nationalen Pavillons der Giardini und eine zentrale Übersicht im nahe gelegenen Arsenale zu der Weltausstellung der Gegenwartsarchitektur. Chefkurator Deyan Sudjics Generalnenner lautet schlicht „Next“, womit die kommenden Architekten, Bauten und Orte des Geschehens gleichermaßen gemeint sind. Auch das Thema lag nach den hochtrabenden (Computer-)Visionen der vorigen Biennale nahe: den Blick zu lenken auf das, was die gebaute Realität des nächsten Jahrzehnts bestimmen wird.

Für die Zentralausstellung in der 500 Meter langen Halle der Corderie und den Munitionswerken des Arsenals hat Sudjic 140 Projekte von über 100 Architekten ausgewählt, geordnet nach elf Aufgaben, vom Wohnbau bis zum städtischen Masterplan. Der pragmatische Ansatz des 50-jährigen Londoner Kritikers lässt die Ausstellung dem Mainstream der gegenwärtigen Architekturproduktion folgen, ja rückt sie bisweilen arg in die Nähe gängiger Hochglanzmagazine.

Wer Rang und n hat in der weltweiten Architektenszene, durfte mit einer Einladung nach Venedig rechnen. Und was an Vorhaben gut und teuer daherkommt,wurde zur Vorstellung in Plänen, Modellen oder gar 1:1-Bauteilen gebeten. Dabei ist die Auswahl durchweg animierend: Auf solch hohem Niveau wird weltweit gebaut, sagen die Modelle und Materialproben, die die Architektur nach den Luftschlössern der vergangenen Biennale wieder zu einem fasslichen Erlebnis machen.

Denn auch die Himmelsstürmer von gestern sind heute bei konkreten Vorhaben angekommen. Zaha Hadid, die lange um Anerkennung kämpfen musste, kann mit vier Vorhaben glänzen (darunter zwei in Deutschland), das amerikanische Büro Morphosis gar mit fünf, Daniel Libeskind mit dreien. Darunter befindet sich seine erste Shopping Mall, von der der wortgewandte Baumeister diverser Jüdischer Museen entschuldigend sagt, es gehe ihm mitnichten bloß um Konsum.

In der Ausstellungspräsentation entlang der Gebäudeachse mit ihren Haupt- und Nebenwerken dominieren eher die älter werdenden Meister, von Norman Foster (zwei spektakuläre Hochhäuser) über Renzo Piano (ein Hochhaus) bis zu Richard Rogers (ein Hochhaus und ein Flughafen). Besonders angetan scheint Sudjic von den weltweit umschwärmten Japanern zu sein, von Tadao Ando (vier Projekte) über Arata Isozaki und Toyo Ito (jeweils fünf) bis zu den Newcomern des Büros Sejima + Nishizawa/SANAA (vier Vorhaben).

Auffällig ist des Biennale-Chefs ungeschmälerte Liebe zum Hochhaus. Hier lässt Sudjic denn auch seinen Realitätssinn beiseite und räumt, wohl auch der finanziellen Verlockung eines italienischen Firmensponsors erliegend, acht gewaltigen Hochhaus-Visionen eine regelrechte via triumphalis frei. Dass die Ausstellung als Nachtrag noch ein Kapitel zu New Yorks Ground Zero enthält, unterstreicht nur das Primat der westlichen Architektur, neben der alles, was abseits des großen Geldes etwa in Drittweltländern stattfindet, keines Blickes gewürdigt wird.

Die Arsenale-Präsentation stellt eine regelrechte Leistungsschau dar – ein Wort, das deutschen Interessenverbänden höchst suspekt ist. Eine Festlegung auf einzelne oder gar nur einen Exponenten deutscher Architektur kam für sie nicht in Frage. So wurde denn die Berliner Architektin Hilde Léon als Kommissarin des Deutschen Pavillons nominiert: Sie hatte vorgeschlagen, von Architekturstudenten Ideen mit der räumlichen Maßgabe des Pavillon-Hauptsaales im Maßstab 1:33 ausarbeiten zu lassen, und lud zwölf weitere Hochschulprofessoren zur Mitarbeit ein. So kamen 115 hübsche Modelle zustande, die nun in Reih und Glied den Pavillon füllen und alle Fragestellungen der Architektur freischwebend behandeln. Bundesarchitektenkammer-Präsident Conradi nannte dies, sichtlich angetan, ein „vielseitiges, fröhliches Zeugnis deutscher Architektur“.

Vielseitig gewiss, fröhlich auch – und eben eine Semesterabschlussausstellung deutscher Architekturfakultäten. Nur: Darum geht es in Venedig nicht. Es geht um Aufmerksamkeit für deutsche Architektur – und damit um Aufträge.

Alarmieren müsste doch, dass lediglich vier der 140 im Arsenale vorgestellten Projekte aus deutschen Büros stammen – von denen drei, wie erzählt wird, Chefkurator Sudjic erst freundlich zugeflüstert werden mussten. Architektur aus deutschen Büros findet im Ausland kaum Interesse. Dabei braucht sie derzeit keinen Vergleich zu scheuen, weder an Innovationskraft noch an Umweltbewusstsein oder gar künstlerischer Fantasie.

Die in Berlin gezeigte Übersicht „Neue deutsche Architektur“, als weltweite Wanderschau konzipiert, stellt eine erste, noch zaghafte Antwort auf das Versäumnis dar. Die Chance allerdings, einem internationalen Publikum die Leistungen deutscher Architekten selbstbewusst zu präsentieren – und das Büro der Kuratorin, Léon Wohlhage Wernik, zählt ja selbst zur ersten Garde –, wurde in Venedig vertan.

Andere Länder, andere Kommissare können sich darüber nur wundern. In Frankreich, Holland, Finnland oder der Schweiz genießt die Präsentation der eigenen Kräfte hohe, auch politische Priorität. Gewiss, die Biennale ist keine Immobilienmesse. Aber diesmal weist sie in diese Richtung, und Länder wie Großbritannien, Dänemark oder die Niederlande haben ihre Pavillons entsprechend ausgerichtet. Nachbar Holland wurde denn auch für seine Präsentation fünf mustergültiger Bauten mit dem „Goldenen Löwen“ für den „besten Pavillon“ belohnt.

Der amerikanische Beitrag kam übrigens nicht in die engere Auswahl. Fixiert auf den 11. September, warten die USA mit der Präsentation der nach den Terroranschlägen von einer New Yorker Galerie hastig zusammengestellten Gedankenskizzen zum Umgang mit Ground Zero und den ohnehin weltweit gezeigten Fotos von Joel Meyerowitz auf – ein Minimalkonzept, das durch den Anhang zur Arsenale-Übersicht erledigt wird.

Gegen den Star-Rummel orientierte, doch höchst spannende Beiträge kommen diesmal aus Griechenland, das sich der Darstellung der „wilden“, ungeplanten Bautätigkeit seiner ausufernden Hauptstadt Athen widmet, ferner aus Finnland, das unspektakuläre, aber dringend benötigte Bauvorhaben heimischer Architekten in Afrika vorstellt, sowie aus Brasilien. Dort beschäftigen sich Architekten mit den favelas am Rande der Metropolen – aber nicht, um sie großspurigen Sanierungsvorhaben zu opfern, sondern um sie infrastrukturell aufzuwerten, dabei aber die Eigenleistung ihrer Bewohner zu respektieren.

Beeindruckend in seiner gedanklichen Tiefe wie der Ästhetik der Präsentation ist wieder einmal der japanische Pavillon. Arata Isozaki hat ihn den Ländern Asiens geöffnet, die von Korea bis Vietnam durch ihre auf das Chinesische zurückgehenden Schriften verbunden sind. Die Analyse etwa des uraltenTypus des chinesischen Hofhauses und des Umgangs mit dieser gefährdeten Spezies reduziert das Modische mancher anderer Länderpräsentationen zum schieren Nichts.

Nichts zu sehen gibt es auch im Schweizer Pavillon. Die Schweiz, die im eigenen Land zur Zeit mit ihrer Ausstellung „Expo.02“ und intelligentem Witz begeistert, präsentiert das weiß gleißende Nichts eines Alpengletschers – mit auf Gebirgshöhe von 3000 Metern verdünnter, kühl-erfrischender Luft, die jeden Besucher augenblicklich entspannt.

Die Schweizer haben es ja auch nicht nötig, in Venedig mit ihrer Architektur zu werben. Weltstars wie Herzog & de Meuron sind im Arsenale präsent und in den maßgeblichen Architekturmagazinen ohnehin. Aber bis man weiße Luft präsentieren kann, ohne Kopfschütteln zu erregen – dahin ist es ein weiter Weg. Die deutschen Architekten samt ihren Verbänden haben ihn noch vor sich.

Venedig, bis 3. November, täglich 10-18 Uhr. Zweibändiger Katalog (auch englisch) 60 €, Kurzführer 6 €, Katalog des Deutschen Pavillons 12 €. Mehr unter: www. labiennale.org

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