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Fragil. Die Installation Chair Fun: Neon-Stuhl (1967/2012) des Ehepaars Haussmann in den Kunst-Werken.

© Zürcher Hochschule der Künste, Museum für Gestaltung Zürich

Trix & Robert Haussmann-Ausstellung: Gruppensex mit Möbel

Trix & Robert Haussmann sind bekannt für exzentrisches Design. Die Kunst-Werke widmen dem Schweizer Architektenduo eine Schau.

Möbel sind auch nur Menschen. Der britische Künstler Liam Gillick schrieb die Fabel von einem Hocker, der vom Gruppensex träumt. Und damit die Lampe Plafonnier Modèle Atomic und den Rolladenschrank D erregt – beides Modelle der Gestalter Trix & Robert Haussmann. Gillicks Kurzgeschichte wurde von Robert Haussmann mit geometrischen Mustern illustriert und hängt in Großdruck in der Retrospektive der Kunst-Werke. Das erste und zweite Obergeschoss quellen von Entwürfen und Objekten der querdenkenden Haussmanns fast über.

Funktion folgt Form. Wie bitte? Bei den Schweizern Trix Haussmann-Högl und Robert Haussmann ist vieles anders. Beide sind über 80 und als Architekten und Gestalter noch aktiv. Selbst die Postmoderne, der sie zuzurechnen sind, zeigt sich bei ihnen weniger gaga – und mehr „Heureka!“ – als bei Ettore Sottsass und der Gruppe Memphis. Für die Schweizer Szene haben die Haussmanns seit den Siebzigern ähnliche Bedeutung wie die Italiener.

Stilkritik und Architekturgeschichte

Warum die Eidgenossen international aber wenig bekannt sind? Ein Schlüssel zur Antwort könnte der „Log-O-Rithmic Slide Rule“ sein, eine Art Rechenschieber, mit dem man Adjektive aus dem Architekturdiskurs aufeinander beziehen kann. Die Sprachbilder jenseits von Denkschablonen lassen sich jedoch nicht immer umsetzen. Und in der Tat finden sich wenige – aber exquisite – Haussmann-Möbel im Katalog, von denen einige nie realisiert wurden: Shopville im Zürcher Hauptbahnhof ist allerdings berühmt.

Das originale Interieur der Boutique Weinberg in Zürich (1981) gilt als legendär. In den Kunst-Werken ist davon eine Bogenreihe aufgebaut. Ulkige, mit Marmorbemalung camouflierte Holz-Arkaden, deren Keilsteine überlang aus dem Bogen herausragen, als könnten sie einem beim Durchgehen den Kopf zerbrechen. Sie erinnern zum Beispiel daran, dass „Arkaden“, wie Einkaufszentren heute heißen, absurderweise dem Diktat des rechten Winkels folgen. Dass die Ladenpassagen des 19. Jahrhundert wie die Burlington Arcade in London oder die Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II tatsächlich mit Bögen prunkten. Kurz: die Haussmann-Arkaden sind Stilkritik, erzählen Architekturgeschichte.

Der Stuhl als Lampe

Ähnlich verfahren sie mit der Modellreihe „Lehrstücke“, in der sie ihre Gestaltungsprinzipien durchdeklinieren. Im zweiten Stock ist eine Auswahl zu sehen, darunter das „Lehrstück II: Störung der Form durch die Funktion“, bei dem ein klassizistischer Säulenstumpf zum Regal mutiert. Ein „Ironisch-kritisches Objekt zum Begriff Multifunktion“ scheint 1978 – zwischen Stuhl und Saiteninstrument – Nevin Aladags spielbares Musik-Mobiliar der Documenta 14 vorwegzunehmen.

Aus der Frühphase Haussmannscher Kollaboration stammt eine Reihe exzentrischer Stühle von 1967. Auf den „Choco-Chair“ mit teils weggeschmolzenen Stuhlbeinen und somit schräger Sitzfläche wird man sich nicht setzen wollen, im Fall des ebenso anti-funktionalistischen „Neon-Stuhls“ versucht man’s gar nicht erst: Lehne und Beine sind gebogene Neonröhren, die hübsch leuchten, aber sofort brechen würden. Unser Steißbein eventuell auch. Aus Schaden würde man klug: Der Stuhl ist eine Lampe.

Kunst-Werke, bis 29. April, Auguststr. 69, Mi-Mo 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr

Jens Hinrichsen

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