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Kultur: Troia-Ausstellung: Der troianische Krieg findet noch einmal statt

Seit Wochen streitet die Wissenschaft, dabei sitzen die wahren Troia-Experten bei der DaimlerChrysler AG: "Troia war zu seiner Zeit nicht nur Handelsmetropole an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa, sondern auch ein Ort des kulturellen Austausches." Das verkündet eine kleine Tafel in der Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit", die der Automobilkonzern im Braunschweigischen Landesmuseum hat aufhängen lassen.

Seit Wochen streitet die Wissenschaft, dabei sitzen die wahren Troia-Experten bei der DaimlerChrysler AG: "Troia war zu seiner Zeit nicht nur Handelsmetropole an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa, sondern auch ein Ort des kulturellen Austausches." Das verkündet eine kleine Tafel in der Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit", die der Automobilkonzern im Braunschweigischen Landesmuseum hat aufhängen lassen. Ein wenig schwärmerisch möchte sich das globale Unternehmen darin wohl wiederkennen, im Handel und in der Schnittstelle, und so träumen die Althistoriker von DaimlerChrysler noch ein wenig weiter: "Heute ist Troia ein Symbol für Begegnung und Toleranz."

Was würde Hektor, den Achill an seinem Kampfwagen wieder und wieder um die Burg von Troia geschleift hat, von diesem Troia-Bild halten, was Andromache, die zuschauen musste, wie ihr Sohn von der Stadtmauer gestoßen wurde? In Wirklichkeit bietet die westliche Kulturgeschichte keinen Topos, der Grausamkeit, Verrat und Vernichtung eindrucksvoller und dauerhafter dokumentiert hat als der Troianische Krieg. DaimlerChrysler ("Begegnung und Toleranz") muss das nicht wissen, das Unternehmen sponsort ja nur - die Ausstellung und vor allem jene Grabungsarbeiten, die seit 1988 jeden Sommer auf dem Berg Hisarlik an der türkischen Westküste stattfinden.

Die wahren Experten wissen es natürlich, und so herrscht zwischen ihnen, in alter Troia-Tradition, nicht Toleranz, sondern Streit. Dieser Streit, ausgelöst von jener großen Troia-Ausstellung, die zur Zeit im Braunschweigischen Landesmuseum zu sehen ist, dreht sich vornehmlich um die Größe und Ausdehnung jenes spätbronzezeitlichen Troia ("Troia VIIa"), in der Homer seine "Ilias" spielen lässt: Manfred Korfmann, Tübinger Archäologe und Leiter der Grabungsarbeiten, behauptet, nach 30 Grabungskampagnen in Troia eine Außensiedlung südlich der Burg entdeckt zu haben: eine Unterstadt für bis zu 10 000 Menschen. Damit wäre Troia VIIa sehr viel größer als bisher angenommen. Korfmann verweist auf schriftliche hethitische Quellen und argumentiert, dass Troia, datiert auf das 13. Jahrhundert vor Christus, mit dem hethitischen Wilusa gleichzusetzen ist. Und diesen Ort bezeichnet Korfmann, wohl zur Freude seiner Sponsoren, als "Handelsmetropole". In der Troia-Ausstellung, die schon in Stuttgart gezeigt worden war, präsentiert er ein Modell dieser eindrucksvollen Stadtanlage.

Der Althistoriker Frank Kolb, auch er hat seinen Lehrstuhl in Tübingen, hat Korfmann darauf einen "Däniken der Archäologie" genannt, dessen Thesen eine "Irreführung der Öffentlichkeit" darstellten. Als auch weitere Altertumswissenschaftler Kritik am archäologischen Befund Korfmanns äußerten, er aber zugleich Unterstützung namhafter Kollegen erhielt, unter anderem von Gernot Wilhelm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, stellte sich plötzlich heraus, dass hinter Korfmann und Kolb ganze Denkschulen versammelt sind, deren Seriosität den Verdacht von schlichtem Gelehrtenneid absurd erscheinen lässt.

Es ist eine Debatte, die bereits seit Februar schwelt: Damals waren fast zeitgleich die Untersuchungen "Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Problems" des Basler Gräzisten Joachim Latacz im Verlag Koehler & Amelang und Dieter Hertels "Troia" bei C.H.Beck erschienen. Hertel, der klassische Archäologie in München lehrt, kommt in seinem Buch zu dem Schluss, dass der in den Epen Homers beschriebene Krieg "niemals stattgefunden hat". Joachim Latacz hingegen mahnt: "Homer ist ernst zu nehmen", und folgt damit so anerkannten Altphilologen wie Schadewaldt und Lesky, die meinten, aus der "Ilias" einen historischen Kern herausfiltern zu können. Im Katalog wird Latacz noch einmal ausführlich Platz eingeräumt, seine These darzustellen.

Es geht um unterschiedliche Weltbilder: Korfmann häkelt nicht an den Ornamenten der Homer-Forschung, sein Beharren auf Troia als "Stadt" und "Handelsmetropole", die weitreichende wirtschaftliche Kontakte gepflegt habe, löst das gesamte Gewebe auf. Denn eine solche geopolitisch dominante Stadt wäre als historischer Gegner der Griechen durchaus denkbar. Was also wie ein geographischer Gelehrtenstreit wirkte, ist in Wirklichkeit die Debatte darüber, wie hart der historische Kern eines der einflussreichsten Werke westlicher Literaturgeschichte ist.

"Die Argumente stehen so gegenüber, dass sie nicht beweisbar sind", sagt der Leiter des Braunschweiger Museums, Gerd Biegel. Man solle jetzt auf die Instrumente der Wissenschaft zurückgreifen, mahnt Biegel, der inzwischen die Ausstellung um eine Dokumentation des Streits erweitert hat. Im September soll Kolb in Braunschweig seine Position erläutern, nächste Woche besucht erst einmal der Bundeskanzler die umstrittene Ausstellung.

Schon einmal, vor hundert Jahren, hatte sich ein akademischer Außenseiter durch die vielen Schuttschichten des Hisarlik gekämpft, Homer lesend wie ein Evangelium. Heinrich Schliemann war damals in Deutschland als Lügner und Fälscher bezeichnet worden, doch nicht zuletzt dank Schliemann wissen wir, dass Homer Troia nicht erfunden hat. Hatte er es auch gefunden? "Schliemann", sagt Frank Kolb, "hat eben nicht das Troja Homers gefunden, sondern höchstens den Ort, an den sich der Mythos anlehnte. Das von Homer geschilderte Stadtbild ist Fiktion."

Die Troia-Ausstellung mit Leihgaben aus ganz Europa liefert eine prächtige Nacherzählung des Mythos, von den schwarzfigurigen Vasen der Antike über mittelalterliche Handschriften bis zu Kupferstichen und Übersetzungen der Renaissance. "Es war nie unser Ziel, Homer zu verifizieren oder zu falsifizieren", sagt Manfred Korfmann. Doch jener Teil der Ausstellung, der sich mit der archäologischen Grabungsgeschichte beschäftigt, will gerade das: Belege liefern für die Historizität des Homerischen Textes. So gibt die Computersimulation von Troia VIIa angeblich "den Blick Homers auf Troia" wieder. Wenn Korfmann in den Ausstellungs-Videos mit einem großen Schlapphut auf dem Kopf über die Mauern am Hisarlik-Hügel wandert, dann spricht er von den Mauern aus dem Epos Homers. Ohne Hafenspuren gefunden zu haben, gibt er im Katalog jenem recht, der meinte, die griechischen Schiffe seien am flachen Strand der Besik-Bucht gelandet: Dieser Hobby-Archäologe war der römische Kaiser Caracalla.

Wer wie Korfmann davon redet, dass sein Troia-Modell den Schauplatz zeige, "wo Hektor von Achill zu Tode gehetzt worden sein soll", muss sich fragen lassen, wie wörtlich er die "Ilias" wirklich auflösen will. Gab es womöglich auch die schöne Helena? Oder doch nur Handel? Bislang galt Homer als Sänger, der das Gedicht vom Abenteuer der mykenischen Griechen vor Troia etwa 750 v.Chr. in der uns bekannten Weise geformt hat. Dass er dabei ausschließlich auf mündliche Überlieferungen und nicht auf historische Quellen zurückgreift, ist in der Altertumsforschung allgemein akzeptiert, aber auch das wird von Korfmann im Katalog in Frage gestellt. Sich Homer als "Zeitzeugen" vorzustellen, der Troia, Jahrhunderte nach seiner möglichen Zerstörung durch die Griechen, einen Besuch abgestattet haben könnte, ist angesichts des dürftigen biographischen Kenntnisstandes nicht unmöglich. Bislang jedoch galt der Barde in der Forschung als blind.

Mehr spricht dafür, so Manfred Hertel, dass Troia VIIa in Folge eines Erdbebens abgebrannt ist, ohne Fremdeinwirkung: "Die Skelett- und Schädelreste waren so fragmentarisch, dass keine definitiven Aussagen über die Todesursache gemacht werden konnten." Doch schon vor Jahren verwies Korfmann in der Frage der Kriegsspuren auf unausgegrabenes Terrain: "Vorausgesetzt, es gab eine Untersiedlung als Pufferzone, dann braucht man sich über das Fehlen von Projektilen im Bereich der Burg nicht zu wundern, denn normale Bogen- und Schleuderschüsse reichen kaum weiter als 100 Meter."

Sollten Korfmann und sein Team in der Unterstadt auf archäologische Funde stoßen, die eine historistische Lesart Homers möglich macht, würde das in der Tat zu einem Paradigmenwechsel in der Altertumswissenschaft führen. Unmöglich ist das an einem Grabungsort, der schon so oft unterschätzt wurde, nicht. Dass Korfmann schon jetzt mehr verkündet, als er hat, gehört im Unterschied zur Geschichtswissenschaft vielleicht zu den Merkmalen seiner Disziplin. Die "Ilias" einen "archäologischen Text" zu nennen, ist jedoch irreführend, nicht nur für Besucher, die ohne die Epen Homers aufgewachsen sind. Korfmann insinuiert, er hätte bereits den historischen Kern des homerischen Gedichts ausgegraben, doch ein solcher Eindruck wäre unzutreffend. Seine Unterstadt harrt der Beglaubigung.

Korfmann, der kürzlich für sein Bemühen, die gemeinsamen kulturellen Wurzeln der westlichen und der türkischen Kultur aufzuzeigen, den Rotondi-Award erhielt, hat selbstgewiss aus dem fernen Troia verkündet, dass seine wissenschaftlichen Gegner "durch die Publizität der Troia-Ausstellung ihre alt vertrauten argumentativen Felle davonschwimmen" sehen. Korfmanns Frohlocken erscheint verfrüht, auch angesichts der Worte, die Korfmann übers Audioband an den Ausstellungsbesucher richtet: "Die Welt ist halt auch irritierend in ihren vielen Komponenten."

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