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Kultur: Trümmer und Teigtaschen

Das Kühlhaus an der Luckenwalder Straße eröffnet mit dem Festival „Chinesischer Herbst“.

Es ist noch in einem Zwischenstadium, das Kühlhaus. Die Vergangenheit als monumentaler Industrieanlage ist noch nicht ganz abgestreift, denn noch ist das neue Kulturzentrum in der Luckenwalder Straße am Berliner Gleisdreieck vor allem eine Baustelle. Und so passiert es, dass beim Eröffnungsabend des Kulturfestivals „Chinesischer Herbst“ beides zusammenkommt, die Vergangenheit und die Zukunft. Die Kälte und die Kunst.

Oder ist es doch eher ein inneres Erschaudern, das die traumtänzerischer Theaterperformance „Flowers in the Mirror, Moon on the Water“ des chinesischen Regisseurs Meng Jinghui auslöst? Fünf junge Menschen stehen auf der Bühne, sprechen poetische Monolog-Miniaturen, über Wind, Ruinen, Selbstmörder, Teigtaschen und über die Liebe. Verquer und skurril sind ihre Gedankengänge und dann wieder unendlich melancholisch. Schwer zu fassen. Meng Jinhgui gehört in China zu den bekanntesten Theater- Erneuerern.

In Deutschland kennt man ihn höchstens als Autor, sein Stück „Lebensansichten zweier Hunde“ wurde an verschiedenen deutschen Bühnen aufgeführt. Jinghui ist es auch, der die Performance- Sparte beim „Chinesischen Herbst“ zusammengestellt hat – fernab von Staatskunst, auch wenn das Festival unter anderem vom chinesischen Kulturministerium unterstützt wird. Das einzige Zugeständnis mögen die Hochglanz-Stadtansichten von Peking sein, die im zweiten Obergeschoss zu sehen sind und mit blumigen Untertiteln versehen wurden, die die saubere Luft und reinen Gewässer der Stadt preisen.

In den letzten Tagen des Festivals wird das österreichisch-japanische Künstlerpaar Shizuko und Manuel Kuschnig dazu eine Duft-Ausstellung präsentieren. Dann sollen typische Gerüche der 19-Millionen-Einwohner-Metropole durch das Kühlhaus wabern, und vielleicht rückt das dann den Glam-Eindruck wieder gerade.

Das Festival mit Performances, Musik, Fotografie und Videokunst ist ein Testballon. Schon vor einem Jahr hatte es ein ähnliches Programm mit polnischen Künstlern im Kühlhaus gegeben. Seitdem sind die Bauarbeiten an dem 1899 als erste Kühlanlage Berlins errichteten Gebäude noch nicht so weit vorangeschritten wie sie sollten. „Wir sind ungefähr bei der Hälfte“, sagt Jochen Hahn, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Kunsthauses. Private Investoren haben das Industriedenkmal erworben. 7,5 Millionen Euro sollen in den Umbau fließen. Zwischendecken wurden bereits entfernt, so dass ein großzügiger und großartiger Bühnenraum mit rauem Charme entstanden ist, unter dem hohen Giebeldach sollen einmal Terrassen mit Rundumblick über Berlin entstehen. Es könnte ein richtig toller Ort werden. Vielleicht in einem Jahr, schätzt der Kulturmanager. Bis dahin soll es temporären Aktionen geben.

Ist es nicht wagemutig, in einer Stadt wie Berlin, die schon alles hat, ein 6000 Quadratmeter großes Kulturzentrum mit sieben Etagen zu eröffnen? Jahn will Akzente setzen. Er und Cornelia Albrecht als zweite Geschäftsführerin sind gut vernetzt. Jahn betrieb unter anderem bis 2001 die Reithalle in München als freie Theaterbühne und organisierte Kulturfestivals rund um China und Russland. Albrecht leitete das Münchner Festival „Dance“ und war Geschäftsführerin beim Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch. Immer wieder soll das Kühlhaus für Firmenevents vermietet werden, um so die Kulturveranstaltungen zu finanzieren. Jahns Interesse gilt Ländern und Gesellschaften im Umbruch.

Vom Wandel erzählen deshalb auch die beiden Fotografen RongRong und Inri im ersten Obergeschoss. Lange haben die Künstler in einem traditionellen Hutong gelebt, jenen engen Gässchen mit einstöckiger Bebauung, die immer häufiger platt gemacht werden, um modernen Luxus-Wohnungen Platz zu machen. So passierte es auch ihnen. Ihre Schwarz-Weiß- Fotografien dokumentieren den Abriss. Es ist ein stiller Abschied. Die Fotografen sitzen mit langen, offenen Haaren auf einem Nest aus weißen Lilien in den Trümmern. Später sind RongRong und Inri in das Künstlerdorf Caochangdi an den Stadtrand gezogen, dort arbeitet auch Ai Wei Wei. Er hat ihnen ein Studio gebaut, das Three Shadow Photography Art Centre. Es gehört heute zu den Aushängeschildern zeitgenössischer chinesischer Kunst. Anna Pataczek

bis 17.11., www.kuehlhaus-berlin.de.

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