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Kultur: Tun oder nichts tun?

Mit Shakespeare fechten: Jan Klatas „Hamlet“ auf der Lenin-Werft in Danzig

Auf den Bänken des weiten Platzes vor dem Haupteingang der Werft dösen zwischen Pflaster- und Grünflächen Jugendliche mit Bierdosen in der Hand. Still ist es hier, wenige Meter vom Danziger Hauptbahnhof entfernt. Nur aus dem Radio eines Döner-Standes dröhnt es über den Platz. Einige Touristen, den Reiseführer in der Hand, umrunden die drei vierzig Meter hohen Betonkreuze mit den drei Ankern, deren Spitzen in die dunklen Gewitterwolken stechen. Eine polnische Fahne unten am Denkmal hängt traurig herab. Ein stolzes, aber kein schönes Denkmal wurde 1980 zur Erinnerung an die Opfer der Arbeiterstreiks eingeweiht.

Heute steht es eher im Abseits. Das Leben pulsiert in Danzig woanders. In den neuen Einkaufspassagen, in der Mariengasse mit ihren wunderschönen Giebelgebäuden, in deren Vorbauten sich die Bernsteinläden heftig Konkurrenz machen, und auf dem prächtigen Langen Markt, auf dem sich die Touristen zwischen antikisch geschminkten Pantomimen und vielen Eisständen hindurchschieben. Um in die Marienkirche zu kommen, müssen sich die Reisegruppen anstellen: Danzig, eine einzige Touristenattraktion. Deren Silhouette noch immer von den mächtigen grünen Kränen der Lenin-Werft bestimmt wird. Obwohl sie schon seit Jahren stillstehen. Die Lenin-Werft, die mit der Gewerkschaft Solidarnocz nicht nur Polen, sondern die gesamte politische Welt veränderte, ging 1997 Bankrott. Heute arbeiten auf der stolzen Stocznia Gdanska, auf der einst 20000 Menschen beschäftigt waren, kaum mehr 1500.

Ein polnischer Wallfahrtsort ist die einstige Lenin-Werft nicht mehr, auch wenn am Werkstor Plakate für den Papst und für die Multimedia-Ausstellung „Wege zur Freiheit“ einträchtig nebeneinander hängen und im Gitter Blumen stecken. Die neue Zeit macht sich mit einem Souvenirladen vor dem Eingang und einem Bankomaten im Torhäuschen bemerkbar. Doch außer einer schwarzen Katze auf dem Platz ist hier nichts und niemand in Bewegung. Eine Geisterlandschaft, für deren Zukunft die üblichen großen Pläne geschmiedet werden: Einkaufszentren, Lofts, Flanierstraßen.

Erst einmal aber nutzen Künstler das Gelände. Für Ausstellungen, Konzerte oder Theaterspektakel. Vor drei Jahren wurde hier Brechts „Happy End“ ein Event. Nun ist der 33-jährige Regisseur Jan Klata, der diesen Mai in Berlin beim Stückemarkt des Theatertreffens durch seinen Text „Lächelnde Grayprut“ auffiel, mit dem Danziger Teatr Wybrzeze in eine Stapellaufhalle gezogen. An diesem Ort bekommt man Polens Geschichte keinen Moment aus dem Kopf. Hinter dem Stücktitel „H.“ steckt ein polnischer „Hamlet“ aus aktuellem Übergangsgeist.

Der deutsche Gast, der zum Aufführungsort will, scheitert erst einmal am uniformierten Pförtner. Der versteht ihn nicht, und von Theater auf dem Werksgelände weiß er nichts. Wie schon der Hotelportier zuvor. Also muss man sich Hilfe vom Theater herbeitelefonieren. Schließlich fahren wir mit den anderen Zuschauern in einem Bus durch die industrielle Ruinenlandschaft zum Radaune-Kanal. Hier spielen vor einer Halle Hamlet und Horatio in weißem Fechtdress anarchisch Turbo-Golf. Sie dreschen die Bälle durch zersprungene Hallenfenster oder über den Kanal zu den Schiffswracks. Die postindustriellen Räume, durch die das Publikum mit den Schauspielern zieht, geben dem Spiel allerdings eher Atmosphäre als szenischen Sinn. Jan Klata konstruiert, wie er sagt, zwischenmenschliche Katastrophen.

Was wir sehen, sind polnische Gegenwartsfiguren und -haltungen im historischen Gewand. Wenn der Geist von Hamlets Vater als geflügelter Ritter auf einem Schimmel hereinsprengt, wird mit ihm an Polens goldene Zeit erinnert – als Sobieskis geflügelte Reiterarmee die Türken vor Wien schlug. König Claudius dagegen interessiert sich nicht für Politik und blättert interesselos in den Staatspapieren. Er will nur gut leben und genießt am modischen, spiegelnd-schwarzen Tisch edle Rotweine. Alle tragen das weiße Fechterdress: das Leben ein Kampf. Wofür sie kämpfen, wissen Rosencranz und Güldenstern nicht so genau, doch als Karrieristen machen sie einfach mit. Eine bei Jan Klata selbstbewusste, ältere Ophelia (darstellerisch beeindruckend: Marta Kalmus) und ein unzufriedener, ziellos revoltierender Hamlet sitzen wie ein vertrautes Paar auf dem Sofa, während Ophelia ihre Liebe zu Hamlet mit einem Konzert aus unzähligen Grußtelegrammen zu beschwören versucht. Später schwimmt ihre Leiche draußen im Kanal, und Laertes wie Hamlet springen ihr ins Wasser nach.

Schauspielerisch bietet die Inszenierung eher routiniertes Stadttheater. Leben erhält sie durch ihre Bilder. Die berühmten Monologe werden mehr gezeigt als gesprochen, ihre Essenz wird in szenische Tableaus gefasst. Die Grundfrage lautet „Tun oder nichts tun?“, oder einfach: was tun? Nicht Hamlet fragt „Sein oder nicht sein?“, mit dieser Frage wurden Laien für die Schauspielerszene gecastet. Das Casting wird als Spiel im Spiel wiederholt: Zwölf Laien, von der Bauchtänzerin bis zum jungen Geschäftsmann, wechseln sich mit ihren Wünschen ab. Jan Klatas Inszenierung zeigt Haltungen einer polnischen Gesellschaft im Übergang zwischen Energie und Apathie. Dieser „Hamlet“ auf der Lenin-Werft wird so doch noch lebendiges, zeitgenössisches Theater.

Weitere Aufführungen 14. bis 18., 27, und 28. Juli sowie 3. bis 9. August (immer ab 21 Uhr).

Hartmut Krug

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