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Kultur: Turbine Flimm

Aus dem Häuschen: Für Nonos „Al gran sole carico d’amore“ zieht die Staatsoper ins Heizkraftwerk.

Hier schlug einst das heiße Herz Berlins und pumpte Wärme in die Plattenbauten von Mitte. Die Turbinen sind längst fort, nur ihre verwaisten Hochsitze aus Stahlbeton ragen in die fast 30 Meter hohe Halle. Das ehemalige Heizkraftwerk Mitte ist ein Industriedenkmal aus der Zeit des Mauerbaus. Jetzt hat es die Staatsoper zum Aufführungsort für ihre wichtigste Premiere in dieser Saison erkoren. Jürgen Flimm holt Luigi Nonos Revolutions-Klangraum „Al gran sole carico d’amore“ erstmals in die Stadt, in einer Inszenierung, die er als Intendant der Salzburger Festspiele initiierte. Dort feierte Katie Mitchells Regie 2009 in der gewaltigen Felsenreitschule Premiere – und entwickelte sich zum Erfolg auf dem glitzernden, glatten Festspiel-Parkett.

„Erst wollten wir das Schillertheater für Nono umbauen“, ulkt Flimm, der sich auf die Suche nach geeigneten Hallen in Berlin machte. Groß sollten sie sein und eine Geschichte haben, dazu gut klingen für die Staatskapelle unter Ingo Metzmacher. Und Flimm bemerkte, dass das Ruhrgebiet mit seinen endlosen Industriebrachen weit weg liegt. Doch dann entdeckte er das Heizkraftwerk Mitte, wo der Techno-Club Tresor sein Nachbar ist.

Ein Treck von Sattelschleppern und Technikern setzte sich in Bewegung, und eine kaum vorstellbare Metamorphose begann. In die Betonhalle schob sich, über mehrere Stockwerke und Fallgruben hinweg, ein komplettes Opernhaus, mit großem Orchestergraben und Raum für den Chor. Kantine, Garderoben, Toiletten, Probenräume, Stimmzimmer, Schneiderei, dazu mehr Wärme für empfindliche Stimmen und Instrumente sowie viel Strom: Alles musste erst einmal neu erdacht und eingebaut werden.

50 Kilometer Kabel hat das Team rund um Hans Hoffmann, dem technischen Direktor der Staatsoper, verlegt für das temporäre Musiktheater nahe der Spree. Nur für kurze Zeit wird es bespielt, mehr als die angesetzten fünf Vorstellungen kann es nicht geben. Ohnehin sind die Kosten für den Ortswechsel fantastisch: Nur durch kräftige Spritzen des Hauptstadtkulturfonds und der Freunde und Förderer der Staatsoper kann Nonos „azione scenica“ jetzt im Kraftwerk Station machen. Diese finanzielle Potenz ruft auch Neider auf den Plan. Flimm blinzelt sein Intendanten-Blinzeln: Wenn er seine 210 000 Kulturfonds-Euro Kreuzberger Theatergruppen weggenommen habe, dann tue es ihm leid. Keiner habe ihm das vorher gesagt.

Zu Nonos Werk muss Flimm tatsächlich keiner mehr etwas sagen. Das klingende Denkmal für revolutionäre Frauen brachte er 1978 in Frankfurt als deutsche Erstaufführung heraus, es war Flimms erste Opernarbeit überhaupt. Jetzt hat er Katie Mitchells bildstarkes Arrangement nach Berlin und am Stahlbeton vorbeigelotst. Und eine live produzierte Filmspur flammt auf, auf 16 Metern, in der Tiefe des Turbinentischs. Ulrich Amling

Premiere am 1.3., 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen am 3., 5., 9. und 11.3.

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