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Kultur: Über den Schatten der verlorenen Zeit

Sätze der Beklemmung und der Befreiung: Zum 70.Geburtstag des deutsch-französischen Schriftstellers Georges-Arthur GoldschmidtVON PETER VON BECKERDie französische Sprache und die deutsche, hat Georges-Arthur Goldschmidt einmal gesagt, ist ihm anima, der Lebenshauch, und animus, die Seele - deren goldener oder eiserner Käfig allemal der Körper bleibt.

Sätze der Beklemmung und der Befreiung: Zum 70.Geburtstag des deutsch-französischen Schriftstellers Georges-Arthur GoldschmidtVON PETER VON BECKERDie französische Sprache und die deutsche, hat Georges-Arthur Goldschmidt einmal gesagt, ist ihm anima, der Lebenshauch, und animus, die Seele - deren goldener oder eiserner Käfig allemal der Körper bleibt.Und auf seinen Körper als letzte Hülle wurde der (spätere) Schriftsteller Georges-Arthur G.jäh zurückgeworfen.1938, gerade zehn Jahre alt, in Hamburg in einen rettenden Zug nach Florenz gesteckt, erfuhr er das Exil als frühe Entseelung, als Verwaisung von den Eltern und Austoßung auch aus der Muttersprache.Das protestantisch erzogene Kind aus Hambung-Reinbek war plötzlich zum Juden, zum rechtlosen Außenseiter geworden; und seine Eltern hat er nie wiedergesehen.Überlebt hat Goldschmidt in einem Kinderheim in den Savoyen und bei französischen Bauern.Einmal, versteckt im Wald, hört er eine SS-Patrouille reden: Das ist nach Jahren der erste Wiederklang seiner noch immer ersehnten Kindheitssprache, die auch den Echo-Raum öffnet für die verlorene Zeit und so punktuelle, sensuelle Erinnerungen wie den "Geruch nach Zimt und Maggi, welchen es einzig in Deutschland gibt".So steht es in Goldschmidts erstem in Deutschland erschienenen, 1981/82 von Peter Handke aus dem Französischen übersetzten Buch "Der Spiegeltag".Georges-Arthur Goldschmidt, der heute 70 Jahre alt wird und in Paris, als Gymnasiallehrer und Übersetzer von Goethe, Nietzsche, Kafka, Benjamin und etwa 20 Büchern seines Freundes Peter Handke, Anfang der siebziger Jahre selbst zum Schriftsteller wurde, er hat immer wieder, ohne das Wort "Ich" zu gebrauchen, von jener frühen Existenzverwundung erzählt."Die Aussetzung" oder "Die Absonderung" heißen diese Bücher, mit denen er spät auch zur ersten seiner zwei Lebenssprachen, zum Deutschen, zurückgefunden hat; für die er ebenso spät dann mit vielerlei Auszeichnungen bedacht wurde, mit dem Bremer und dem SWF-Literaturpreis oder dem Geschwister-Scholl-Preis.Seine im Züricher Ammann Verlag erschienen Bücher erinnern an die - deutsche - Wunde, und zugleich hat Goldschmidts ungemein bildreiche, wahrnehmungssüchtige und wahrheitsliebende Sprache etwas Heilsames, noch in der Trauer Tröstliches: ähnlich dem von Goldschmidt aufs schönste beschworenen Waisenkind-Lebensroman des "Anton Reiser", der den Erzähler so körperlich erschütterte, "als seien jene Sätze quer durch ihn durchgeschrieben".Goldschmidts Schriften gelten auch der Befreiung aus dem Gefängnis des Körpers, dessen Züchtigung er als sado-masochistische Demütigung im französischen Internat erlebte.So sind seine Bücher, obwohl spirituell, auf eine sublime Weise auch eine Literatur des Erotischen, der Liebe - geschrieben für die Empfindung des Anderen, der sich auch in jedem Leser verbirgt.Goldschmidt ist immer zugleich ein Vermittler und Botschafter, und als dieser war er bisweilen Gast auch bei François Mitterrand, der unter anderem beeindruckt war von Goldschmidts großem Essay über Psychoanalyse, Literatur und die deutsche Sprache: "Quand Freud voit la Mer" ("Wie Freud das Meer sah", noch nicht übersetzt).Der Gratulant aber kann heute auch nicht verschweigen, daß er in Goldschmidts Büchern nicht nur über einen Menschen, über Poesie, Poetik und unsere Zeit Beklemmendes und Befreiendes gelesen hat.Ich habe darin zugleich etwas über die eigene Familie erfahren, über einen Zweig, zu dessen letzten Zeugen dieser Schriftsteller und Freund gehört, der mein Onkel ist.Viel Glück, nach allem, mit allem.Für den Atem, im Leben und in der Literatur.

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