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Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.

© imago/Metodi Popow/IMAGO/M. Popow

Ukrainisches Kriegstagebuch (191): Wenn sich Theater und TV plötzlich wieder an den Krieg erinnern

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Eine Kolumne von Yuriy Gurzhy

Mein Handy vibriert, als ich in der U-Bahn sitze. Die Dame am anderen Ende der Leitung behauptet, dass wir vorgestern ausgemacht haben, heute zu telefonieren. Langsam erinnere ich mich – eine Journalistin, die für einen großen deutschen Fernsehsender gerne über „Zwei Jahre Ukraine-Krieg“ filmen möchte.

Ich schrieb ihr damals zurück, dass ich Schwierigkeiten mit dem Begriff „Ukraine-Krieg“ habe, da darin Russland, der eigentliche Kriegstreiber, nicht erwähnt wird. Auch mit den zwei Jahren ist es so eine Sache, schrieb ich, denn für die Ukrainer hat dieser Krieg eigentlich bereits vor zehn Jahren begonnen.

Da ich jedoch generell den Eindruck habe, dass in den Medien immer weniger darüber berichtet wird, weiß ich das Interesse für dieses Thema zu schätzen. Also schlug ich vor, dass wir telefonieren, damit sie mir mehr über ihre Vision erzählen könnte.

Und das tut sie. „Ja, Herr Gurzhy, Sie haben sicherlich vom tapferen russischen Undergroundmusiker N. gehört, der letztes Jahr russland verlassen hat und zurzeit in Berlin lebt. Wir dachten uns, wir könnten ihn und Sie in einem typischen Berliner Café filmen, wie Sie bei Kaffee und Kuchen über die Situation in Ihren Ländern diskutieren, was halten Sie davon?“

Ich antworte, dass ich N. nicht kenne, die russische Szene nicht verfolge und außerdem die Tradition der deutschen Medien, einen Ukrainer nur dann wahrzunehmen, wenn er von einem russen begleitet wird, unerträglich finde. Vielleicht wird meine Stimme dabei etwas lauter, als es sich für einen U-Bahnzug gehört, und die ältere Frau, die mir gegenüber sitzt, schaut mich komisch an.

Die Theater-Solidarität war ein Lichtblick

Ich erinnere mich an die Ende Februar 2022 innerhalb weniger Tage organisierte Veranstaltung am Gorki Theater, bei der aus den Werken ukrainischer Autoren vorgelesen wurde. Eine Woche später gab es einen ähnlichen Abend am Schauspiel Hannover. Während der ersten Wochen der großangelegten Invasion war die Solidarität meiner Theaterkolleg*innen ein Lichtblick inmitten des Schocks und der Fassungslosigkeit.

Als ich kürzlich nachschaute, ob heute, zwei Jahre später, noch Ukraine-bezogene Veranstaltungen an deutschen Theatern stattfinden, musste ich feststellen, dass das Thema Krieg in meinem Heimatland mancherorts spurlos verschwunden ist. Dennoch werden in den Münchner Kammerspielen die „Green Corridors“ von Natalka Vorozhbyt inszeniert, so wie auch eine Adaption von Serhij Zhadans Roman „Internat“ am Theater Münster.

Bei den Berliner Festspielen gastiert Ende Februar das Ensemble des tschechischen Divadlo X10 mit seiner Interpretation von Juri Andruchowytschs Roman „Moskoviada“ und auch im Haus der Kulturen der Welt werden am 24. Februar im Rahmen des von Sasha Marianna Salzmann und Max Czollek kuratierten Festivals „Utopie Osteuropa“ ukrainische Stimmen zu hören sein.

Und in der Berliner Volksbühne gibt es in dieser Woche eine Paneldiskussion mit dem Titel „Zwei Jahre Angriffskrieg gegen die Ukraine – Russlands Zivilgesellschaft: Vergangenheit und Zukunft“. Zwar ist es nicht so, dass man sich keine Gedanken über die Zivilgesellschaft im Land des Aggressors machen sollte, aber als einzige Veranstaltung im Programm des Theaters, die sich mit dem Thema Krieg auseinandersetzt, ist das eine eher enttäuschende Wahl.

Während die Ukraine allmählich aus den Schlagzeilen verschwindet, treffe ich in den letzten Monaten umso mehr Ukrainer*innen auf den Straßen deutscher Städte. „Zu Beginn hatte Anna es wirklich nicht leicht an ihrer neuen Schule“, erzählt mir Daryna, eine langjährige Freundin aus Charkiw, deren Tochter vor drei Jahren zu ihrem Vater nach Berlin gezogen ist.

Wir sitzen in einem Café am Hackeschen Markt, trinken Ingwertee und plaudern über Berlin, das sie oft besucht, Charkiw, unsere gemeinsame Heimatstadt, in der wir viele Freunde haben, und Kiew, wo Daryna derzeit lebt.

„Aber in den letzten zwei Jahren geht es ihr prima. Sie hat viele neue Freundinnen gefunden, alles Ukrainerinnen, sogar einige ihrer alten Klassenkamerad*innen aus Charkiw sind jetzt ebenfalls an ihrer Schule. Unglaublich, oder? Früher nannte ich Charkiw ,das kleine Berlin’, aber mittlerweile ist es genau umgekehrt: Berlin ist zu einem großen Charkiw geworden!“ Daryna und ich lachen beide einen Moment lang, doch dann halten wir plötzlich inne und schweigen.

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