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Oskar, zurückgebeamt ins Jahr 1907.

© Illustration: Peter Schössow

Andreas Steinhöfel über das Ende von Rico & Oskar: „Um die Ecke denken hilft“

Andreas Steinhöfel schickt seine Helden Rico und Oskar in ein letztes Abenteuer. Ein Gespräch über Abschiedsschmerz, Mut und Neuanfang.

Herr Steinhöfel, erinnern Sie sich, was die ersten Bücher waren, die Sie als Kind gelesen haben?

Angefangen habe ich mit Bilderbüchern mit Text wie „Henriette Bimmelbahn“ von James Krüss. Das Lesen habe ich mir als Fünfjähriger mit „Mohrle auf dem Bauernhof“ beigebracht, einem Schreibschriftbuch über eine kleine schwarze Katze. Als ich besser lesen konnte, wurde „Jim Knopf“ von Michael Ende mein absolutes Lieblingsbuch.

In „Rico, Oskar und das Mistverständnis“ haben Sie Hinweise auf zwölf Kinderbuchklassiker versteckt, vom „Herr der Ringe“ bis zu „Emil und die Detektive“. Ist das eine Art literarische Ahnengalerie?

Kästner taucht sogar selber auf, als achtjähriger Berlin-Besucher. Wenn man einen Kinderkrimi schreibt, der in Berlin spielt, kommt automatisch Kästners „Emil“ auf den Tisch. Das war schon beim ersten Rico-Buch so. Offenbar glaubt niemand, dass man einen solchen Krimi auch ohne diese Tradition schreiben könnte. Deshalb packte ich Kästner rein, da hatte ich das Thema hinter mir.

Sind die Verweise auch als Ansporn für Kinder gedacht, die Klassiker zu lesen?

Klar. Aber wenn ich Zeug unterjuxe, was dem klassischen Bildungsbürger Spaß macht, erwarte ich überhaupt nicht von den Kindern, dass sie die Anspielungen erkennen. Wenn sie es tun, wird es ein zusätzlicher Gewinn beim Lesen.

Fungieren die Referenzen als Bonus für die Erwachsenen, die das Buch vorlesen?

Das versuche ich immer, das hinzukriegen. Wenn ich meinen Nichten vorlese, trommle ich bei einigen Büchern innerlich auf die Tischkante und denke: Lieber Gott, lass es vorbeigehen. Das heißt nicht, dass es den Nichten keinen Spaß macht. Aber Bücher, die „Der magische Pferdestall“ heißen und auf dem Einband irgendetwas haben, das glitzert, sind eher nicht mein Fall. Als Kind hätte ich sie vielleicht geliebt.

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Das „Mistverständnis“-Buch ist der fünfte Rico-Band und soll der letzte bleiben. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?

Sehr, sehr schwer. Rico und Oskar sind ja Teilaspekte meiner eigenen Persönlichkeit. Was es mir besonders schwer macht, mich von ihnen zu trennen, ist, dass es genau mein Humor war, den ich in sie reinpacken konnte. Das werde ich in dieser Form nicht noch einmal machen können, ohne mich selber zu kopieren. Das Schreiben ging völlig mühelos vonstatten, dieses Glück habe ich bei keinem anderen Buch erlebt.

„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ kam 2008 heraus. Kurz zuvor hatte der Pisa-Schock Deutschland erschüttert, Bildungspanik griff um sich. Sie erfanden einen Helden, der sich „tiefbegabt“ nannte. War das ein Kommentar zum Zeitgeist?

Natürlich. Gleichzeitig tobte auch die Diskussion darüber, ob das sogenannte „Prekariat“ überhaupt in der Lage sei, Kinder ordentlich zu erziehen. Das ging mir total auf den Keks. Deshalb habe ich Ricos alleinerziehende Mutter im Nachtclub arbeiten lassen. Um zu zeigen: Leute, diese Frau ist aus der bürgerlichen Perspektive heraus relativ unteres Straßenlevel. Aber was sie mit ihrem Kind macht, ist großartig.

Rico leidet an ADHS. Sie haben gesagt, dass Sie keinen „Förderzentrum“-Roman schreiben wollten. Warum nicht?

Da bin ich einfach von meiner Hauptfigur ausgegangen. Rico erzählt ja nicht, dass er ein armes, an ADHS leidendes Kind ist. Er erzählt, wie er trotz irgendwelcher Klassifizierungen seinen Alltag meistert. Das Wort „ADHS“ fällt nie. Ricos einziges Problem ist, dass er schlecht geradeaus denken kann. Denken kann er nur um Ecken. Und das hilft ihm bei der Lösung der Detektivgeschichten, die es in irgendeiner Form in allen Bänden gibt.

Ein Vorbild für die Figur war Ihr Lebensgefährte Gianni Vitiello.

Als wir uns kennenlernten, war Rico als Figur schon entwickelt. Aber fürs Schreiben war es gut, zu sehen, wie jemand mit ADHS mit seinem Leben klarkommt. Was er schafft, woran er scheitert. Ich würde es nicht Krankheitsbild nennen, aber wenn es einen trifft, macht es einem schon schwer zu schaffen.

Andreas Steinhöfel

© Dirk Steinhöfel

Oskar ist hochbegabt und ein bisschen neurotisch. War das Ihr Part?

Der hat viel von mir. Was damals auch in der Luft schwirrte, war das Helikopter-Thema. Überbehütete Kinder. Deshalb habe ich Oskar im ersten Teil einen Sturzhelm verpasst. Ich nenne die heute noch Sturzhelmkinder. Kinder, denen von ihren Eltern wenig zugetraut wird. Eigentlich aus dem guten Impuls heraus, sie zu beschützen. Doch so entstehen kleine, ängstliche Neurotiker. Das finde ich viel schwieriger als das Thema ADHS. Man muss Kinder auch mal loslassen.

Hat Rico eine Botschaft?

Was mich über viele Jahre beglückt und zum Weiterschreiben animiert hat, waren die Reaktionen in Briefen, die ich von Kindern bekam. Viele haben geschrieben: Da ist endlich mal einer, der so denkt und fühlt wie ich. Sich klein und unverstanden fühlen, intellektuell dem Umfeld nicht gewachsen zu sein, dieses Lebensgefühl kennen viele. Für mich ist das eine Aufgabe von Literatur: den Lesern zu vermitteln, dass sie nicht allein sind.

Im neuen Roman gibt es quasi noch ein zweites Buch, das 1907 spielt und von Rico erzählt wird. Wie kamen Sie darauf?

Vier Bücher lang hatte ich Rico alles allein erzählen lassen. Solange Oskar und er alles gemeinsam erlebten, war das einfach. Nun trennen sie sich, um den Abriss ihres Spielplatzes zu verhindern. Und sie zerstreiten sich. Wie kann man das erzählen? Erst habe ich versucht, einen Oskar-Erzählstrang reinzupacken. Aber Oskar erzählt viel rationaler, das hatte auf Dauer keinerlei Charme. Über die Beschäftigung mit den alten Leuten in der Geschichte bin ich zu Literatur gekommen, die sie in ihrer Jugend gelesen haben könnten. Dabei habe ich mich an Hedwig Courths-Mahler erinnert, die ich als Kind mit Begeisterung gelesen hatte. Ihre Bücher sind kitschig und trivial, aber glänzend geschrieben. Ich dachte mir: Mach dir den Spaß und schmeiß Oskar in der Zeit zurück, dann kannst du es auch so altertümlich erzählen.

Der zweite Teil des Buches spielt in Mittelhessen, wo Sie inzwischen wieder leben. Warum sind Sie aus Berlin weggezogen?

Der Grund war, dass ich eigentlich nie wirklich hingewollt hatte. Kurz nach der Wende bin ich aus Beziehungsgründen nach Berlin gekommen und dann fast zwanzig Jahre geblieben. Mir war Berlin immer zu groß, zu ausufernd und vor allem zu flach. Ich bin im Mittelgebirge aufgewachsen und hatte permanent Heimweh. Aber ich habe Berlin geliebt, vor allem die unglaubliche Direktheit, mit der man sich dort begegnet. Im Kern bin ich ein totales Landei, das sich in eine Großstadt verirrt hatte.

Im Buch besucht Rico ein älteres Paar, das in der Nähe von Bad Wildungen in einem Haus direkt am Wald lebt. Er sagt: „Hier würde ich auch gern leben.“

Die Adresse, die er aufsucht, ist im Prinzip mein Haus in Biedenkopf. So hatte ich es in Berlin mit der Dieffenbachstraße auch gemacht: Jetzt nimmst du genau das, was du kennst, und erzählst davon. Aber Rico sagt auch: Boah, hier ist nicht viel außer Bäume, Bäume, Bäume. Für ein Großstadtkind ist das nichts.

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Leben Sie jetzt wieder in dem Haus, in dem Sie aufgewachsen sind?

Nein, ich habe mir einen Kindertraum erfüllt und das alte Forsthaus gekauft. Es liegt außerhalb der Stadt und ist wildromantisch mit einem riesigen Garten.

In Berlin haben viele Rico-Fans versucht, sein Haus an der Dieffenbachstraße 93 zu finden. Passiert Ähnliches nun auch in der hessischen Waldeinsamkeit?

Die Dieffenbachstraße 93 gibt es nicht, die Straße hört bei ein-paar-und-achtzig auf. Eigentlich wollte ich vermeiden, was dann doch passierte: Die Kiddies kamen und guckten. Ich wohnte in der Hausnummer 72, sie fanden mich am Klingelschild und haben mich rausgebimmelt. Hier passiert das jetzt auch. Junge Leser, manchmal kleine Gruppen, stehen an der Haustür, wollen Bücher signiert bekommen und fragen, ob sie mal was fragen dürfen.

Nervt das?

Nein, überhaupt nicht. Allerdings wohnte ich in Kreuzberg im fünften Stock, es gab keinen Fahrstuhl, deshalb musste ich immer runtergaloppieren. Von der sportlichen Seite her war es anstrengend. Aber ich habe es auch als unglaubliches Kompliment verstanden, wenn da Gören auftauchten, die ihren Buchhelden suchten.

Im letzten Bild des Buches verschwinden Rico und Oskar im Sonnenuntergang. Eine Huldigung an Lucky Luke?

Vorbild war Charlie Chaplin, der als Tramp mit einem kleinen Jungen die Straße hinabgeht. Die Idee stammt von Peter Schössow, der zu allen Bänden wunderbare Illustrationen erfunden hat. Seine Zeichnung ist ein toller Abspann.

Andreas Steinhöfel, 58, ist einer der erfolgreichsten deutschen Kinderbuchautoren. Drei seiner fünf Romane um die Berliner Freunde Rico und Oskar wurden fürs Kino verfilmt.

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