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Kultur: Um Würde geht es jeden Abend

Großes Deutsches Theater: Der Berliner Schauspieler Dieter Mann feiert 40-jähriges Bühnenjubiläum

Herr Mann, alles begann vor vierzig Jahren mit einem frechen Jungen, einem Welt und Menschenentdecker – Viktor Rosows „Wowa“ im Stationenstück "Unterwegs". Mögen Sie den noch?

Aber ja.

Die Lust auf Entdeckung ist so stark wie damals?

Deshalb bin ich Schauspieler geworden.

Als Arbeiter, als Spitzendreher hatten Sie, bevor Sie zum Theater kamen, genaue Vorstellungen von Wirklichkeit. Gerade deshalb blieben Sie unangepasst wie Ihr erster Held. Sie wollten mit Theater etwas ausrichten. Ist das gelungen?

Diese Frage darf ich selber nicht beantworten. Darüber müssen andere urteilen. Ich denke, mir treu geblieben zu sein. Meinem frechen Jungen hat man damals, 1964, Kraft und Ursprünglichkeit bestätigt. Wenn ich die, gemeinsam mit Humor und Zorn, mit Ironie und Leidenschaft über nun schon vier Jahrzehnte bewahren konnte, wie ich hoffe, wäre das wohl Ausrichtung genug. Natürlich gehe ich heute sorgsamer mit meinen Kräften um als damals und habe nicht mehr den Ehrgeiz, so gut wie jeden Abend auf der Bühne zu stehen.

Macht mochten Sie nicht, und wurden doch, von 1984 bis 1991, Intendant des Deutschen Theaters. Der Versuch eines Ungelernten. Wie ist er ausgegangen?

Er lieferte vor allem eine Erfahrung: Ein Intendant hat keine Macht. Zumindest nicht die, die sich viele Leute darunter vorstellen. Es war eine harte Zeit für mich, in der ich eine Menge lernen konnte. Das Deutsche Theater habe ich immer so empfunden, als wäre es mein eigenes. Auch wenn das hausbacken klingt, ich bleibe dabei.

Wie gehen Sie um mit dem Gewicht der Jahrzehnte, mit dem Älterwerden?

Ein Vorteil ist, dass ich heute länger zuhören kann, als ich es früher ausgehalten habe. Ich will nicht mehr immer Recht behalten. Das ist langweilig, in der Kunst, aber auch in der Realität. Und dann - man muss im Einsatz seiner Mittel sparsamer, überlegter werden. Schließlich weiß man - wenn die Vernunft nicht siegt, kann man nur hoffen, listig genug zu sein, um Niederlagen zu verdauen.

Im Film und Fernsehen haben Sie zuletzt immer mehr den Bösewicht gegeben.

Und ich bin gar nicht böse darüber. Denn zu zeigen ist: Jeder Schurke hat Gründe, so zu handeln, wie er handelt. Und die Gesellschaft produziert ihre Bösewichter selbst. Allerdings sitze ich bei Film und Fernsehen in einer Schublade – ich bin der „Chefspieler“, muss immer anführen, auch das Böse.

Und im Theater?

Nehmen wir den Kreon: Welche Umstände zwingen einen Mann, Dinge zu tun, die er unter anderen Umständen, in einem anderen Umfeld nicht tun würde? Kreon glaubt doch, für das Wohl der Stadt, der er vorsteht, handeln zu müssen. Gerade in diesem unbedingten Wollen verliert er den Blick für die Wirklichkeit. Das gilt es, erlebbar zu machen, auch als Warnung.

Auch Odysseus, den Sie in „Ithaka“ von Botho Strauß gespielt haben, ist ein Zerrissener. Durch Klugheit und Bedachtsamkeit über das Schlachten erhaben, führt er seinen blutigen Auftrag dennoch aus, um der nicht mehr steuerbaren Barbarei zu begegnen. Wie nahe ist Ihnen dieser Held?

Sehr nahe. Er setzt Recht durch, für das Gemeinwesen und für sich als Person. Er versucht, zu verteidigen, was gut, kostbar und dem Menschen gemäß ist. Dafür sind nicht alle Mittel recht, aber der Versuch muss gemacht werden. Odysseus ist für mich eine Art menschgewordener Gott, der für alles zuständig ist, dem man alles zumutet.

Sie sind ein Komödiant, der sich genau beobachtet. Ist ihnen diese strenge Selbstkontrolle bewusst?

Drehpunkt für das Verhältnis von körperlicher Agilität und Disziplin war die Rolle des Staatssekretärs in Goethes „Torquato Tasso“. Einfach in Ruhe dazustehen, zu denken mit der Figur, habe ich da gelernt. In der Zusammenarbeit mit Regisseur Friedo Solter begriff ich, dass man nicht versuchen darf, intelligenter und witziger zu sein als Goethe. Gerade deshalb: Gelöste Heiterkeit, frisches Denken ist für mich wichtige Grundlage meiner Arbeit.

Sie hätten ein glänzender Unterhaltungskünstler werden können und wurden ein unverwechselbarer Charakterdarsteller. Liebäugeln Sie heute manchmal noch mit dem Fach des Entertainers?

Über scheinbare Grenzen des Berufes hinauszugehen, wie mit dem Kellner Jean in Kaisers Revue „Zwei Krawatten“, hat mir Spaß gemacht. Ansonsten: nein.

Mehr als sechzig Rollen haben Sie allein am Deutschen Theater gespielt. Nun werden Sie Ehrenmitglied des Hauses. Der Prophet gilt also doch etwas im eigenen Lande?

Unumwunden – das macht mich froh. Mein ganzes Arbeitsleben habe ich in diesem Hause verbracht. Und ohne hier an meinem eigenen Nekrolog arbeiten zu wollen – es berührt einen schon sehr, einer Ehre teilhaftig zu werden, die vor mir vielen Großen meines Fachs zuerkannt worden ist. Und nicht wenige von diesen Großen habe ich noch erlebt, mit einigen durfte ich gemeinsam arbeiten.

Das Deutsche Theater ist nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten. Intendant Bernd Wilms wird die Leitung 2006 aufgeben. Wie sehen Sie die Zukunft des Hauses?

Streiten wir nicht über Höhen und Tiefen. Ich sehe die Zukunft des Deutschen Theaters optimistischer als die Zukunft dieses Landes. Sicher, es herrscht eine eigentümliche Ratlosigkeit auch in diesem Theater – aber die reflektiert doch nur die Ratlosigkeit in der Gesellschaft. Rezepte, die der oder jener wie für einen Kranken ausschreiben möchte, helfen da nicht. Unbestritten aber bleibt, dass das Theater Möglichkeiten suchen muss, wirksamer zu werden: Einfach gesagt, schwer zu machen.

Die Bedeutung Berlins als eines der Zentren des deutschsprachigen Theaters ist gefährdet.

Was Berlin braucht, ist ein Kultursenator, sind Intendanten, die dem Quotendruck widerstehen. Erfolg um jeden Preis haben zu wollen, macht Erfolg unmöglich. Dem Publikum dauernd hinterherzulaufen, kann zu nichts Gutem führen. Wir sollten es mit Goethe halten: „Ein großes Publikum verdient, dass man es achte“. Die Betonung liegt auf dem letzten Wort.

Zu dieser Achtung müsste gehören, die sozialen Probleme des Alltags im Theater zu sehen und ernst zu nehmen. Wie stellen Sie sich dazu?

Es berührt mich sehr, dass Menschen überlegen müssen, ob sie sich Theater überhaupt noch leisten können. Aber das ist das kleinere Problem. Es geht ja nicht nur um Geld. Die entscheidende Frage ist doch: Wie viel Würde lasse ich dem Menschen? Würde wird beschädigt, wenn Privatestes offen gelegt werden muss. Und um Würde im weitesten Sinne geht es doch an jedem Theaterabend.

Das Gespräch führte Christoph Funke.

DIETER MANN

feiert heute sein 40-jähriges Bühnenjubiläum und wird Ehrenmitglied des Deutschen Theaters Berlin . Dort spielt er heute Abend sein Solo „Fülle des Wohllauts“ (nach Thomas Manns „Zauberberg“).

GEBOREN

wurde Dieter Mann am 20. Juni 1941 in Berlin. Ausbildung zum Spitzendreher, 1962 bis 1964 Ausbildung an der Staatlichen Schauspielschule Berlin. Im September 1964 hatte er sein Debüt am Deutschen Theater Berlin als Wowa in „Unterwegs“ von Viktor Rosow, seitdem ohne Unterbrechung Mitglied des Ensembles des Deutschen Theaters. 1975 bekam er den Kunstpreis der DDR.

ALS INTENDANT

des Deutschen Theaters fungierte Mann von 1984 bis 1991. In diese Wende-Zeit fallen die großen DT-Inszenierungen von Heiner Müller („Hamlet/Maschine“) und Frank Castorf („Paris, Paris“, „John Gabriel Borkmann“). Mann spielte am DT bisher etwa 60 Rollen, darunter Edgar Wibeau in Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W. “. Zurzeit ist er in fünf DT-Produktionen zu sehen: „Nathan der Wei-

se“, „Die Macht der Gewohnheit“, „Antigone“, „Was ihr wollt“, „Fülle des Wohllauts“.

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