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Kultur: Unglück im Glück

Für Filmemacher muss Korea so etwas wie das Paradies sein. Anfang der neunziger Jahre ist das Land aus jahrzehntelanger politischer Agonie erwacht - und im neuen Klima des Liberalismus erlebt die südostasiatische "Schweiz" nun auch ein geistiges Wirtschaftswunder.

Für Filmemacher muss Korea so etwas wie das Paradies sein. Anfang der neunziger Jahre ist das Land aus jahrzehntelanger politischer Agonie erwacht - und im neuen Klima des Liberalismus erlebt die südostasiatische "Schweiz" nun auch ein geistiges Wirtschaftswunder. Neue Konzerne pumpen enorme Summen in den einheimischen Film, und das lohnt sich auch, denn die Kinos müssen an mindestens 106 Tagen im Jahr koreanische Filme spielen. Als vor drei Jahren das "Screen Quota"-Gesetz auf Druck der US-Filmindustrie zu fallen drohte, organisierten die Regisseure eine ungewöhnliche Protestaktion: Sie rasierten sich Glatzen, vom Kabelträger bis zu Im Kwon-taek, dem Altmeister des koreanischen Films - und siehe da, die Öffentlichkeit zog mit.

Vierzig Prozent Marktanteil erreicht mittlerweile der koreanische Film - in Europa schafft dies allenfalls Frankreich, das seine Filmindustrie ebenfalls mit allen Mitteln unterstützt. Ein Vorbild für Deutschland? Die so weitgreifende "Screen Quota"-Regel werden nur Fundamentalisten befürworten. Aber so lange hier die mächtigen Fernsehanstalten nicht zu einer empfindlichen Abgabe für den Film gezwungen werden, sondern alljährlich Almosen für die nationale Filmproduktion abzweigen, deren Ergebnisse sie auch noch auf ihre eigenen Mühlen lenken dürfen, bleibt Deutschland filmpolitisch nicht viel mehr als Entwicklungsland. Nicht um jeden Preis deutsche Filme in die Kinos zwingen, müsste die Devise heißen - wohl aber endlich Verhältnisse schaffen, unter denen der international konkurrenzfähige Film überhaupt erst entstehen kann.

Auch in Korea profitiert in erster Linie das große Publikumskino von der neuen Situation. In dessen Schlagschatten aber hat die neue cineastische Autoren-Generation ganz andere Chancen als bei uns. Die Filme des Kim Ki-duk, der mit seinen archaisch wilden, leuchtenden und zugleich finsteren Bilderwerken derzeit die Welt erobert, sind auch in Korea nur etwas für eine Minderheit - aber immerhin kann er Jahr für Jahr einen neuen Film drehen. Der Durchbruch gelang dem heute 40-jährigen Autodidakten, der seine Karriere als fliegender Händler seiner eigenen Gemälde in Paris begann, mit "Seom" (Die Insel) - und machte in Venedig vor gut einem Jahr sofort Skandal. Erst erlitt angesichts einiger extrem beklemmender Szenen eine Journalistin einen Schwächeanfall. Dann witzelten selbst toughe Filmkritiker noch tagelang einigermaßen panisch herum, um der ungeheuer ökonomisch inszenierten visuellen Gewalt dieses Meisterwerks Herr zu werden.

"Seom", der diese Woche unter dem Titel "The Isle" ins Kino kommt, ist eine Liebesgeschichte der ganz besonderen Art. Er ist auch eine Schöpfungsgeschichte, für die ein grausamer und zärtlicher Gott etwa sieben Tage und Nächte benötigt. Der Film beginnt fast im Paradies, an einem dunstverhangenen Herbstmorgen über einem idyllischen See, in dem auf Pontons winzige Fischerhütten schwimmen; und er endet mit einem symbolischen Rätselbild ewigen erotischen Friedens, das die Grenze zwischen Leben und Tod verneint. Dazwischen aber erzählt er von der Hölle.

Man angelt sich jemanden

Die schöne, herbe, stille Hee-Jin (Suh Jung) ist SIE: Die junge Frau haust in einer Hütte am Ufer, bringt Angel-Touristen mit dem Motorboot zu den Hütten, wo sie übers Wochenende oder auch länger bleiben und versorgt sie mit Essen, Getränken und Ködern. Manchnmal kommen Männer ohne Frauen; dann rudert sie herüber und bietet sich ersatzweise an, für Geld. Man angelt sich jemanden, beißt was weg und wirft ihn dann wieder ins Wasser: So geht an diesem See das Leben der Menschen, die man allesamt auch kranke Fische nennen könnte.

Der schöne, herbe, fast ebenso stille Hyun Shik (Yoosuk Kim) ist ER: Eines Tages steht er auf dem Steg, mietet die blassgelbe Hütte statt der blassblauen oder blassgrünen und bleibt für länger. Aus der einzigen Rückblende des Films dürfen wir schließen, dass ihn eine aus Eifersucht begangene Gewalttat umtreibt, und tatsächlich stürzt ihn am dritten Tag, den dieser Film werden lässt, eine Polizeikontrolle in Panik. Aber SIE rettet ihn, nachdem er sich schon fast das Leben genommen hätte.

SIE und ER: eine fast stumme Liebesgeschichte. Eien aus klaren Blicken und ebenso eindeutigen Taten, weiter fast nichts. Nach 20 Minuten sagt er "Warte eine Sekunde", nach 25 Minuten "Warte, gibt es hier ein Klo?", und von ihr hören wir nach 76 Minuten einen Schrei. Der aber geht ihm, der schon weit weg ist über den See, durch Mark und Bein und entscheidet alles. Ansonsten sind es die anderen, die Geräusche machen, die anderen, die irgendwann zu stören beginnen, weil sie in die Geschichte eindringen ziemlich zufällig, wie eben das Leben eindringt in einen Plan. Ja, und es sind diese anderen, die weg müssen, weil es irgendwann nichts mehr gibt als diese selbstzerstörerische amour fou ohne Wörter, diese eine einzige Geschichte.

Kim Ki-duk erzählt sie und ihr allernotwendigstes Drumherum souverän und streng nach dem Kausalitätsprinzip, und das wohl - weniger die wenigen, starken Schockbilder - macht den Film für manche so unerträglich. Denn alles, was passiert - und es passiert erstaunlich viel in einer Welt fast ohne Wörter -, ergibt sich zwingend aus dem Vorherigen und kümmert sich in seiner innewohnenden Logik nicht darum, ob wir das kurios oder lustig oder absurd finden. Es schreitet voran. Das Unheil, die Seligkeit dieser beiden schreitet voran. Das Glück im Unglück, das Unglück im Glück, immer beides. Auch das ist kaum auszuhalten, wenn man denn Kino primär kathartisch begreift, als Ort den Mitfieberns, Mitleidens, Mitfreuens, als einen Ort, der uns selbst um ein Winziges zu besseren Menschen macht.

Wer aber reisen will im Kino, weiter als unsere beschränkten Räume und auch Gedankenräume es zulassen, ist richtig in diesem Film. Er war richtig letzten Herbst, als Venedig Kim Ki-duks "Address unknown" zeigte, ein anderes, menschenreicheres, ebenso wenig Trost spendendes Kammerspiel unter überwiegend freiem Himmel; und er dürfte richtig sein in "Bad Guy", den die kommende Berlinale in ihren Wettbewerb aufgenommen hat. Auch von ihm hört man, er erzähle in schockierenden Bildern von einer Liebe, einer sadomasochistischen Verfallenheit diesmal - und das ist das erste große Signal dafür, dass die Berlinale unter neuer Leitung offen das Wagnis sucht und endlich auch in ihrem Wettbewerb irritierend spannend werden könnte.

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