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Kultur: Unglücklich bin ich überall

Jerusalem adieu: Die Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff ist in ihren früheren Heimatort Berlin emigriert

Sie ist kleiner als erwartet. Erst wenn sie spricht, wird sie größer, groß, beeindruckend. Ihre vom Leben und Rauchen gezeichnete Stimme füllt den Raum. Sie steht im Widerspruch zu den mädchenhaften Bewegungen, mit denen sie ein Glas aus dem Schrank holt oder in Richtung Grunewald geht, vorbei an dem Haus ihrer Kindheit zu den Sphinxen am Herthasee. So kann man also aussehen, wenn man achtzig wird. Sie spricht klar und langsam, in Assoziationsschüben und mit Worten, die keinen Zweifel über das Gesagte aufkommen lassen, auch nicht, wenn sie mit verschränkten Armen am Tisch sitzt und scheinbar gedankenverloren aus dem Fenster auf die Welt schaut (da geht Frau Richter…), ihre Katzen füttert, einen Kir trinkt.

Eine schöne Frau, immer noch „verwöhnt und anspruchsvoll“, zuweilen unerträglich dezidiert, gäbe es da nicht eine offenkundige Gebrochenheit. Halbjuden, sagt sie in einem ihrer Bücher, sind gespalten, und so zerrissen zu sein, ist gefährlich. Aus dieser Gefahr hat sie sich bisher immer herausgeschrieben.

Schrobsdorff-Leser wissen, dass die Autorin als Tochter einer Jüdin und dem Sohn einer wohlhabenden preußischen Junkersfamilie in Berlin aufwuchs, mit elf Jahren vor den Nazis nach Bulgarien floh und diese Geschichte in ihrem wohl erfolgreichsten Buch „Du bist nicht so wie andere Mütter“ verarbeitet hat. Seit Jahrzehnten strömen Menschen aller Generationen in ihre Lesungen, sie füllen ganze Kinosäle. „Ich weiß nicht, warum“, sagt sie kokett. Zugleich ist sie ernsthaft erstaunt über soviel Bewunderung, denn sie sieht sich selbst so kritisch wie die Welt um sich herum. Ob Deutsche, Araber, Franzosen, Israelis, erbarmungslos misst sie Menschen und Nationen am Grad ihrer Wahrhaftigkeit und Würde. Und weil auch die Israelis im Augenblick sehr schlecht abschneiden, sie weder die sommerliche Hitze noch die Politik des Landes länger ertragen wollte, wählte sie „das kleinere Übel“ und mietete eine Wohnung in Berlin.

Ausgerechnet Berlin. Tatsächlich bot ihr die Agentin des Maklerbüros ein Stockwerk des Hauses am Johannaplatz an, aus dem sie 1939 vertrieben wurde. Wo sie doch Jerusalem so liebt. Aber das Statement, dass es „schon lange keine Juden mehr in Israel“ gebe, musste wohl zu einer Veränderung führen.

Nach siebzig Jahren Abwesenheit kann von „Heimkehr“ allerdings nicht die Rede sein. Bis sie über Bulgarien, München, Paris und Jerusalem nach Berlin-Wilmersdorf fand, war sie längst zu einer Weltbürgerin geworden, die das alte Berlin nur noch an den Straßennamen erkennt. Alles andere ist ihr fremd, das Zuhause besteht aus der Schreibmaschine, den Fotografien und Katzen. Ob sich Angelika Schrobsdorff in Berlin jemals wieder zurechtfinden wird, hängt davon ab, ob sie ein neues Buch schreiben wird. An Fans und Gunstbezeugungen fehlt es nicht. Das Telefon läutet ununterbrochen, die Medien stehen Schlange. Aber hinter diesem Umworbenwerden sitzt immer auch die Befangenheit – gegenüber einer mehrfachen Außenseiterin, gegenüber einer Leserschaft, die sich teilweise aus den Kindern der Täter zusammensetzt.

Wiedergutmachung ist für sie ein Fremdwort. Tatsächlich spottet die Harmlosigkeit des Wortes der näheren Beschreibung. Dabei hat die Stadt Menschen wie sie weiß Gott nötig.

Der notorische, einst gerühmte Humor ist ihr ohne die Juden ja längst vergangen. Mithin auch das, was Gottfried Benn deren „todsicheren Instinkt für Qualität“ nannte. Vielleicht weichen die Menschen deshalb vor Angelika Schrobsdorff zurück, verstummen, wenn sie einen Fleischerladen betritt und für die Katzen „ein viertel Pfund Tatar“ verlangt. Die Präsenz ihrer Stimme pflügt mühelos durch das Gemurmel der Umherstehenden. Seltsame Töne sind das, und plötzlich weiß der Zuhörer, dass so ein Deutsch nicht mehr gesprochen wird: prononciert, unverbogen, schön. Er lernt, dass das Wort Berlin in der Mitte ein R hat und das Wort „begabt“ am Ende ein T, das nachklingen kann. Gleich wird es ein bisschen vornehmer auf der Welt. Und er stellt fest, welche Freude es bereitet, sich fürs Einkaufen so zu kleiden, als sei man mit sich selbst verabredet.

Gewisse hochliterarische Kreise reagieren auf die Romane von Angelika Schrobsdorff wie das Ehepaar Mann auf die Geburt einer Tochter: nichts Ernsthaftes. Doch ihre Bücher zeigen, zu welchen Erfolgen Klugheit im Verbund mit Erfahrung, Sprachbegabung und exakter Beobachtung ohne nennenswerte Schulbildung führen kann. „Für die Intellektuellen bin ich das Letzte“, sagt sie, und teilt ihr Misstrauen gegenüber einem blutleeren Intellekt doch mit der Intellektuellen Hannah Arendt – und den Mut, sich in Sachen der Moral und Politik querzustellen, sowieso.

Vielleicht muss man auch wissen, dass Angelika Schrobsdorff jahrelang mit dem Pariser Filmemacher Claude Lanzmann verheiratet war, der sie in den Zirkel um Sartre und Beauvoir einführte. Hier galt sie als große Schweigerin, aber nur, wie sie sagt, „weil die selber immer soviel geredet haben“.

Angelika Schrobsdorff hat ihr Leben in Paris in dem Roman „Die kurze Stunde zwischen Tag und Nacht“ verarbeitet. Die Titel der Bücher „Jerusalem war immer eine schwere Adresse“, „Wenn ich dich je vergesse, oh Jerusalem“, „Grand Hotel Bulgaria“, auch „Die Reise nach Sofia“, für das Simone de Beauvoir das Vorwort schrieb, sprechen für sich. Bei allen hat die Erfahrung von Verfolgung und Entwurzelung die Perspektive vorgegeben. Daher ist der Blick scharf, wenngleich nie ohne Humor und ironische Distanz. Der Leser muss dem straff gespannten Bogen ihrer Geschichten bis ans Ende folgen, sich in der Dialogführung verfangen, mit der die Figuren Gestalt annehmen, besonders, wenn es um die Beziehung zwischen Mann und Frau geht.

Aus den Erzählungen Angelika Schrobsdorffs spricht eine tiefe Verbundenheit mit Bulgarien. In diesem Land, wo ein Teil ihrer Familie lebt, und mit den Menschen, deren Gastfreundschaft sie immer wieder hervorhebt, überlebte sie die Emigration. Der in Sofia geborene Filmemacher Christo Bakalski ist dem jetzt in seiner Dokumentation „Ausgerechnet Bulgarien“ nachgegangen – und die bulgarische Botschaft feiert den 80. Geburtstag der am Heiligabend 1927 geborenen Autorin nachträglich mit einer öffentlichen Lesung und Glückwünschen von Weggefährten.

Der Film läuft heute und am nächsten Sonntag jeweils um 13.30 Uhr im Broadway. Die Geburtstagsfeier findet am Mittwoch, den 16. Januar, um 19 Uhr in der Bulgarischen Botschaft statt (Leipziger Straße 19, 10117 Berlin).

Rita Pokorny

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