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Kultur: Unken im Schlaraffenland

Sigrid Löfflers „Literaturen“ wird 5 Jahre alt

Als Sigrid Löffler vor fünf Jahren das Premierenheft von „Literaturen“ präsentierte, sagten Literaturbetriebsunken dem Projekt eine Lebensdauer von zwei, drei Ausgaben voraus. Ein monatliches Hochglanzprodukt von 120 Seiten nur über Bücher und Bücherschreiber? In dem sich eine Rezension auch einmal über acht Seiten erstrecken darf? Zu einer Zeit, in der Bildmedien aller Art einer kollektiven Legasthenie zuarbeiten? In der frühere Bildungsbürger vor den Mattscheiben geistig verelenden? In der lesende Arbeiter so rar sind wie Einhörner?

Gerade dann! Und siehe, es hat funktioniert: Die Auflage hat sich längst bei 35000 eingependelt. Der feste Abonnentenstamm liegt bei grundsoliden 13000, wovon andere Literatenmagazine nur träumen. Hat sich „Literaturen“ sein Publikum selbst erzogen? Hat es das Herz der Finsternis im Kontinent der Leseschwachen erobert? Gewiss, „Literaturen“ hätte das Zeug dazu: gutes Layout, erstklassige Autoren, klare Gliederung in lange, mittlere und kurze Rezensionen, viel Platz für literarische, auch politische Essayistik, keine Berührungsängste vor U-Kultur – all das erzeugt beim Leser das Gefühl, umfassend informiert und bestens unterhalten zu sein. Aber vielleicht zeigt der Erfolg von „Literaturen“, dass es die Unken sind, die die Wirklichkeit erzeugen, vor der sie warnen. Das prominent besetzte Podium zum „Literaturen“-Jubiläum in der Berliner Akademie beschwor, man mochte es als treuer Leser kaum glauben, den Untergang des Leselands. Michael Krüger verzagte ob der Stilschwäche der Politik und wollte dem Parlament poetische Meditationen vor den Sitzungen aufzwingen. Terézia Mora geißelte blasiert die Bildungslücken ihrer Literaturstudenten. Nur Denis Scheck wollte nicht mitlamentieren. Vielleicht erzeugt ja der viele Bildmüll eine nachhaltige Faszination am imaginativen Wort? Überdauert im Literatenpessimismus der alte Klassendünkel der Gebildeten? Leben wir etwa doch, wie der Untertitel des Jubiläums-Oktoberheftes verspricht, „im Schlaraffenland der Bücher“?

Marius Meller

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