zum Hauptinhalt
Blick in die Ausstellung „Abundant Futures“ mit Werken der Sammlung TBA21, zu der auch die Installation „Family Farm“ des britischen Künstlers Matthew Ritchie gehört.

© Rafael Suarez

Francesca Thyssen-Bornemisza im Interview: „Unsere Haltung ist toxisch“

Kunst als Trophäe oder Investment findet die Sammlerin Francesca Thyssen-Bornemisza überflüssig. Lieber verändert sie damit die Welt.

Francesca Thyssen-Bornemisza ist Sammlerin und Philanthropin. Mit ihrer Stiftung TBA21 hat sie über 200 Auftragsarbeiten mit zum Teil weltberühmten Künstler:innen realisiert. Ihr Credo: Weniger besitzen, mehr teilen.

Frau Thyssen-Bornemisza, Ihre Familie sammelt seit vier Generationen. Im Nationalmuseum Thyssen-Bornemisza in Madrid sind seit 1993 über 800 Werke von der Frührenaissance bis zur Pop Art zu sehen. Wie setzt man ein solches Erbe fort?
Ich wollte auf keinen Fall rückwärts sammeln, sondern das Erbe meines Vaters Hans Heinrich in die Zukunft gerichtet fortsetzen. Am Anfang kaufte ich Werke von Karen Kilimnik und Douglas Gordon oder Fotoarbeiten von Thomas Struth und Cindy Sherman. Bis ich merkte: Ich habe dieselben Arbeiten wie alle anderen Sammler. Mir wurde klar, dass ich einzigartige Werke haben wollte. Dies bedeutete, Arbeiten bei den Künstlern direkt in Auftrag zu geben und sie selbst zu produzieren. So entdeckte ich mein Terrain außerhalb der kommerziellen Zwänge des Marktes. 2002, im Jahr, in dem mein Vater starb, gründete ich TBA21, meine Stiftung für zeitgenössische Kunst.

Was haben Sie von Ihrem Vater gelernt?
Mein Vater war ein leidenschaftlicher Sammler. Seit Anfang der achtziger Jahre wollte er die Sammlung in unserer Villa Favorita in Lugano der Öffentlichkeit zugänglich machen. So tourten Teile unserer Sammlung durch die Welt und wir mit ihnen – von Tokyo nach Perth, New York und San Francisco. Doch wirklich fasziniert war mein Vater von einer Einladung in die Sowjetunion. Den ersten Leihvertrag unterzeichnete Leonid Breschnew! Mein Vater verlieh seine Highlights, darunter ein Bild von Miró, eines von Ghirlandaio und von Dürer, nicht nur nach Moskau und Leningrad, sondern auch nach Novosibirsk und Kiew, das damals zur UDSSR gehörte. Ich war häufig dabei, bei den Verhandlungen und den Reisen bis in entlegenste Gegenden.

Und das mitten im Kalten Krieg! Warum hat er das getan?
Es gibt ein Zitat von ihm: „Meisterwerke müssen reisen und von möglichst vielen Menschen in Ausstellungen gesehen werden, um so zum Weltfrieden beizutragen.“ Während man atomar aufrüstete, hob er Kulturdiplomatie auf ein völlig neues Niveau! Damals habe ich gelernt, wie man mit kulturellen Projekten politische Grenzen überschreiten kann. Kunst ist ein machtvolles Werkzeug, wenn es darum geht, Barrieren zu durchbrechen. Es war eine Erfahrung, die mich geprägt hat.

Fuhren Sie deshalb im Dezember 1991 im Auto nach Dubrovnik?
Schon als Kind hatte ich einen starken Gerechtigkeitssinn. Was ich in Dubrovnik sah, zerriss mir beinahe das Herz. Damals hatte die serbisch-montenegrinische Armee die Stadt gerade angegriffen. Dubrovnik barst unter Strömen von Flüchtlingen. Es gab weder Wasser noch Strom. Paläste, Kirchen, Klöster, fast alle Kulturdenkmäler waren schwer beschädigt. Unter diesem Schock habe ich die Stiftung Arch – Art Restoration for Cultural Heritage – zur Rettung von bedrohtem Kulturerbe gegründet.

Gibt es eine Nähe zu Osteuropa?
Wir haben familiäre Wurzeln in der Region. Und jetzt herrscht wieder Krieg in Europa! Als Putin die Ukraine im Februar brutal überfiel, gründete ich die Initiative „Museums for Ukraine“. Wir unterstützen Künstler, Kuratoren und Museen überall im Land. Sie brauchen Mittel für Ausstellungen, Transporte, Restaurationen, Digitalisierung ihrer Archive. Besonders freut es mich, dass wir das Projekt des Kunsthistorikers Konstantin Akinsha über die ukrainische Avantgarde ab Ende November im Nationalmuseum Thyssen-Bornemisza zeigen können. Es wird die Kunstgeschichte umschreiben, denn die Avantgarde des letzten Jahrhunderts, die als russische Avantgarde populär wurde, startete eigentlich in Kiew. Kasimir Malewitsch war Ukrainer!

Ihre Stiftung TBA21 feiert 20-jähriges Jubiläum. Inzwischen haben Sie über 200 Auftragsarbeiten mit teils weltberühmten Künstlern realisiert. Was motiviert Sie?
Ich will kreative und grenzüberschreitende Prozesse ermöglichen. Unsere Institution ist zum Synonym für transdisziplinäres, auf Recherche basierendes Arbeiten mit Kunst im Zentrum geworden. Die Künstler kooperieren mit Wissenschaftlern, Aktivisten oder Rechtsgelehrten, in allen Medien. Das Ergebnis sind Installationen und Ausstellungen, die wir nach Möglichkeit um die Welt reisen lassen.

Wie „Küba“, die preisgekrönte Videoarbeit des Künstlers Kutlug Ataman?
Das war bereits im Frühjahr 2004, und es war eines unserer hellsichtigsten Projekte. In einem Raum des Frachtschiffs Negrelli installierte Kutlug 40 altmodische, flimmernde Fernsehgehäuse auf Spanplattentruhen. Auf jedem Monitor erzählten die kurdischen Bewohner des Istanbuler Stadtviertels Küba von ihren immer gleichen, hoffnungslosen Schicksalen. Wir fuhren die Donau aufwärts über sieben Ländergrenzen nach Wien, es war eine Reise gegen den Strom.

Gegen den auch Sie schwimmen?

Francesca Thyssen-Bornemisza

© Ximena y Sergio

Insofern, als ich noch nie Lust hatte, den Poker um Rekordpreise und Labels mitzuspielen. Statt an meinem Image als Sammlerin zu arbeiten, habe ich damals auf rumänischen Straßen Impfungen an Kinder verteilt, die Opfer der Donau-Hochwasserkatastrophe geworden waren. Das Politische beginnt mit dem Persönlichen.

Wie definieren Sie Sammeln?
Die Essenz des Sammelns ist eine Erweiterung des Selbst, des eigenen Bewusstseins. Was ich nicht will, ist, getrieben von Egostress, ein Monument in eigenem Namen zu bauen.

Der Kunstmarkt heute ist ein Investment. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Wir brauchen den Markt, und es ergibt Sinn, in Kunst zu investieren. Aber leider geht es fast nur noch um Profite. Genau wie nach wie vor überwiegend kommerzielle Interessen unseren Planeten beherrschen. Dabei sollte jede Entscheidung immer auch eine ethische sein, nicht nur eine profitorientierte. Unsere Haltung des „nie genug“ hat zur toxischen Ausbeutung von Natur und Gesellschaft auf allen Ebenen geführt. Fortschritt kann nur heißen: Weniger besitzen, mehr teilen. Mehr Anteilnahme. Am Ende teilt man Vertrauen, und das ist der unschätzbarste Wert von allen.

2012 gründeten Sie zusammen mit Markus Reymann als Direktor die TBA21-Academy. Was ist das Anliegen?
Wir starteten mit einem Forschungsschiff, der „Dardanella“, zu ozeanischen Expeditionen, zu denen wir Künstler und Wissenschaftler einluden. Es war Feldarbeit, bei der wir am eigenen Leib erlebten, wie sehr unsere Ozeane geschädigt sind. Es ist ungeheuerlich! In den kommenden zehn Jahren entscheidet sich die Zukunft unseres Planeten für die nächsten zehntausend Jahre. Inzwischen ist die TBA21-Academy eine interdisziplinäre und interaktive Plattform, auf der wir für das Überleben der Ozeane kämpfen.

2019 kam der Ocean Space hinzu, für den Sie die Kirche San Lorenzo in Venedig restaurierten.
Wir eröffneten mit der Installation „Moving Off the Land II“ der amerikanischen Künstlerin Joan Jonas, es gibt Performances, Symposien, Konzerte und Filmvorführungen. Wichtig ist uns aber auch, dass Künstler, Wissenschaftler und andere Kreative direkt an Orten wie Jamaica oder in East Portland forschen. Dass sie an unseren konservatorischen Programmen für Schildkröten, Mangroven, Korallen oder Seegras teilnehmen.

Gibt es ein jährliches Budget für die Aktivitäten und Auftragsarbeiten?
Es ist kaum möglich, konkrete Summen zu nennen. Es gibt eine große Zahl unterschiedlicher Budgets über lange Zeiträume, auch für Kooperationen wie aktuell in Córdoba. Hier sind wir mit der Stadt und der Region Andalusien eine dreijährige Partnerschaft eingegangen. Córdoba, im 14. Jahrhundert Europas Gemüse- und Früchtekammer, liegt am zweitlängsten Fluss Spaniens. Hier erkundeten wir im Frühsommer das Mäandern, das buchstäbliche „in ständigem Fluss sein“. Im Centre for Contemporary Creation of Andalusia eröffneten wir die Ausstellung „Abundant Futures“ mit Werken aus der Sammlung etwa von Matthew Ritchie, Ernesto Neto, Beatriz Milhazes und Camille Henrot.

Was ist die Idee von „Abundant Futures“?
Wir leben auf einem Planeten, der uns in verschwenderischer Fülle beschenkt. Doch wir haben nur genommen und nicht zurückgegeben, mit katastrophalen Auswirkungen. Abundance bedeutet für mich, alle Lebewesen und ihr Recht auf Leben zu respektieren. Die Ausstellung erzählt auch von Biodiversität und davon, wie alles mit allem artenübergreifend voneinander abhängt.

Eine Sammlung mit mehr als 1000 Werken, über 200 davon in Kommission. Wie wird sich TBA21 weiterentwickeln?
Viele Arbeiten in meiner Sammlung sind monumental, Transport und Lagerung entsprechend aufwändig. Unser CO2- Fußabdruck ist groß. Ich nehme meine Verantwortung ernst, ihn zu reduzieren.

Lernen Sie von Künstler:innen?
Unschätzbar viel! Vor allem, meiner Intuition zu folgen. Wer seinen Impulsen und Empfindungen folgt, ist bereit für Experimente und lernt, sich selbst zu vertrauen. Mein Lieblingsort liegt außerhalb meiner Komfortzone.

Folgten Sie Ihren Gefühlen auch, als Sie auf der kroatischen Insel Lopud die Ruine eines Franziskanerklosters aus dem 15. Jahrhundert entdeckten und das Areal zwei Jahrzehnte lang restaurierten?

Als ich auf das Kloster stieß, träumte ich davon, es könne meine Villa Favorita werden. Nun spiegelt es meine Biografie. Ich habe es mit Altmeistergemälden, mittelalterlichen Skulpturen, Tapisserien aus der Villa Favorita ausgestattet – und mit zeitgenössischen Werken aus meiner Sammlung gemixt. Über Terrassen erstreckt sich ein Garten mit mehr als 80 Pflanzenarten, der durch das Wissen der Franziskanermönche über Heilpflanzen inspiriert wurde. Es ist ein sinnlicher und spiritueller Ort. Geschichte, Kunst und Natur verschmelzen, die Zeit weitet sich.

Und ein Kreis schließt sich für Sie?
Ja. Ich bin meinem Vater dankbar für alles, was ich von ihm lernte, vor allem über Philanthropie. Als Philanthropin bin ich Sammlerin, Kulturdiplomatin, Anwältin, Aktivistin und manchmal alles zugleich. Für mich ist Philanthropie eine Herzensangelegenheit. Ich glaube, sie ist das Bedürfnis zu teilen, was man liebt. Philanthropie ist eine Reise zu mir selbst auf den Spuren der Empathie.

Interview: Eva Karcher

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false