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CITY Lights: Unter den Pinien von Argentinien

Berüchtigte Nazi-Verbrecher wie Josef Mengele und Adolf Eichmann, aber auch Mitläufer wie der Ufa-Regisseur Karl Ritter haben sich nach 1945 in Argentinien niedergelassen. Warum ausgerechnet dort?

Berüchtigte Nazi-Verbrecher wie Josef Mengele und Adolf Eichmann, aber auch Mitläufer wie der Ufa-Regisseur Karl Ritter haben sich nach 1945 in Argentinien niedergelassen. Warum ausgerechnet dort? Ist die Entscheidung für dieses Exilland plötzlich gefallen, oder hatten sich bestimmte Deutsche längst danach gesehnt? Ein wiederentdeckter Dokumentarfilm aus dem Jahr 1937 beantwortet diese Fragen. Fern vom Land der Ahnen (Montag im Arsenal, Einführung von Philipp Stiasny) – gedreht von dem Berliner Gerhard Huttula, der selbst nach Südamerika ausgewandert war – verkündet eine eigenartige, unerwartete Botschaft. Der Film plädiert für die Entwicklung von NSOrganisationen im Ausland – also auch indirekt für die Auswanderung. Huttula allerdings kehrte nach Deutschland zurück und machte Karriere als Trickspezialist; von ihm stammt der Ritt auf der Kanonenkugel in „Münchhausen“.

Um eine andere Form der Wanderung, die Seelenwanderung, geht es in Michal Waszynskis in Jiddisch gedrehtem Dybuk (heute und Sonnabend im Arsenal). Darin wird eine junge Braut am Tag ihrer Hochzeit vom Geist eines verstorbenen Mannes besessen, den sie wirklich geliebt hat und auf Befehl ihres Vaters verlassen musste. Von dem ebenfalls 1937 gedrehten Film geht insofern eine gespenstische Wirkung aus, als er eine Kultur kurz vor ihrer Vernichtung dokumentiert. Zuvor schlachtete man noch ihre visuellen Motive aus: Um sich auf seinen Propagandafilm „Jud Süß“ vorzubereiten, hat Veit Harlan den „Dybuk“ studiert.

Zu den ganz großen, den definitiven Wanderfilmen gehört Theo Angelopoulos’ Die Wanderschauspieler (heute und Montag in der Brotfabrik), weniger wegen seines Titels als seiner Länge von 230 Minuten. Für die künstlerische Evozierung dieser nahezu ausgestorbenen Welt hat der Regisseur sich ausdrücklich Zeit genommen – in nur 80 Einstellungen, was den Rhythmus noch einmal extrem verlangsamt. Gedreht hat Angelopoulos seinen Film 1974, im letzten Jahr der griechischen Militärdiktatur; offiziell bearbeitete er nur einen politisch unverfänglichen klassischen Stoff, die Orestie. Doch seine Wanderschauspielerin Klytämnestra verrät ihren Gatten Agamemnon an die Faschisten, und Elektra schließt sich den Kommunisten an. Das klingt in der nüchternen Zusammenfassung plump und plakativ – und ist doch, wie alles bei Angelopoulos, immer rätselhaft und anregend.

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