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Die Wiener Schriftstellerin Marjana Gaponenko: Sie ist bekannt für ihre brüllend komischen Romane.

© Yves Noir

Marjana Gaponenkos neuer Roman: Unter die Räder gekommen

Die Wiener Schriftstellerin Marjana Gaponenko ist bekannt für ihre brüllend komischen Romane. Mit das „Das letzte Rennen“ begibt sie sich in die makabre Welt der Pferdekutschen.

Der Roman „Wer ist Martha?“, für den die 1981 in Odessa geborene Marjana Gaponenko 2013 den Adelbert-von-Chamisso-Preis erhielt, war ein ungewöhnlich skurriles Buch. Spätestens seit der Preisverleihung weiß man, dass die Autorin nicht nur außerordentlich gute, passagenweise zum Brüllen komische Romane schreiben kann, sondern auch einer anderen Leidenschaft nachgeht: Sie liebt Pferdekutschen und Kutschpferde, und an ihrem Wohnort, der Welthauptstadt der Fiaker, hat sie alle Gelegenheit, diese Liebe auszuleben.

Kein Wunder also, dass die Wiener Gesellschaft und das Reich der Pferdekutschen in Gaponenkos jüngstem Roman entscheidende Rollen spielen. Das macht den Einstieg in „Das letzte Rennen“ nicht unbedingt leicht, denn die Welt der Kutschen dürfte den meisten Lesern kaum vertraut sein. Doch ein paar Seiten genügen, und schon hat der Roman den Leser im Griff. Man liest gebannt weiter, man schmunzelt und grinst und wird gelegentlich von nicht zu vermeidenden Lachanfällen heimgesucht.

Der gelernte Maschinenbauingenieur Adam Niec hat vor vielen Jahren seine Heimatstadt Krakau verlassen und mit der Erfindung eines ölfreien Verdichters für Bremsen ein Vermögen gemacht. Adam lebt in Wien. Österreich hält er für ein „angenehm zurückgebliebenes, sozialistisches Land …, allerdings pfiffiger und unkomplizierter als Polen“. Auf den Praterwiesen hat der die Fremdsprache Deutsch mit stark jiddischem Akzent sprechende Flüchtling ein prächtiges Gestüt samt Kutschensammlung aufgebaut. Und zudem hat er seine Leidenschaft für Ponys und Fiaker seinem einzigen Sohn weitergegeben, der zwar erkennt, dass er in erster Linie als „Hilfe beim Ausleben seiner Kutschenträume“ angesehen wird, den Vater aber als Geldgeber braucht: „Mehr schlecht als recht erfüllten wir unsere Rollen als Vater und Sohn, die uns eine Neurose namens Pflichtgefühl vorgeschrieben hatte.“

Ein witziges und süffisantes Gesellschaftsporträt

Aus der Ich-Perspektive dieses Kaspar Niec – eines vor sich hin studierenden Taugenichts, der von Menschen, besonders von Frauen, weitaus weniger versteht als von Pferden –, und mit Reminiszenzen ans 19. Jahrhundert, die Epoche der Pferdekutschen, erzählt Marjana Gaponenko ihre makabre Geschichte. Die spielt zwar am Anfang des 21. Jahrhunderts, aber das merkt man oft nur an den Anspielungen auf Computerspiele und Comicfiguren.

In diesem springlebendigen, aspektreichen und bunten, immer von einer gehörigen Portion schwarzen Humors grundierten Roman, der großes Pathos und ganz großes Kino nicht scheut, beides aber mit ätzendem Witz und bissiger Ironie relativiert, mischen sich Gegenwart und Vergangenheit. Und es entsteht, mit leichter Hand, ein witzig und süffisant gezeichnetes Gesellschaftsporträt, wie man es in letzter Zeit wohl kaum gelesen hat – amüsant und abgrundtief schockierend zugleich, von ähnlicher Wirkung wie manche Gemälde von Otto Dix aus den zwanziger Jahren.

Will man sich wirklich an der abgetakelten „Gelsenbar“ ein Eis kaufen und ein „Freistil-Damenderby“ besuchen? „Sich an ihren Champagnergläsern festhaltend, fieberten die Damen dem Rennen entgegen. Sie würden daran teilnehmen, weil es ‚a richtige Gaudi’ war … Der Geruch abgestandenen Parfüms mischte sich mit den Alkoholausdünstungen der Männer.“ Will man Adam mit seinen gebleachten Zähnen beim Weinen zuschauen? „Seine Augen waren mit einem Mal klein und traubenmosttrüb. So sah er auf verblüffende Art Stardust ähnlich, dem uralten Huzulenpony mit fortgeschrittener Mondblindheit.“ Auch ob man sich als älterer Mensch mit ersten Anzeichen von Demenz tatsächlich in die Obhut einer Donezker Krankenschwester namens Nadja begeben möchte, wird man sich nach der Lektüre noch einmal überlegen.

Vater und Sohn liefern sich ein letztes Rennen

Die Sache endet spektakulär. Vater und Sohn liefern sich ein letztes Kutschrennen, die Pferde geraten in Panik, Kaspar kommt unter die Räder. „Nicht nur abgeklemmt, sondern zermalmt waren die Arme.“ Als er nach einer Woche im künstlichen Koma wieder zu sich kommt, hat er keine mehr. Kann es für einen schnöseligen Nichtsnutz ein böseres Erwachen geben? Doch siehe da, irgendwann kriegt Kaspar wieder die Kurve: Er wird weiterleben, zeitweise sogar fröhlich.

Es ist nicht ohne Hintersinn, dass diese Nadja mit vollem Namen „Nadjeschda“ heißt – auf Russisch bedeutet das Hoffnung. Marjana Gaponenko versteht sich darauf, die Höhen eines Menschenlebens ebenso packend zu schildern wie die Tiefen. Und dabei nichts ernster zu nehmen als unbedingt nötig.

Marjana Gaponenko: Das letzte Rennen. Roman. C.H. Beck Verlag, München 2016. 266 Seiten, 19,95 €.

Klaus Hübner

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