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Annäherung oder Abwehr? Untitled (Two Men Shaking Hands), eine Lithographie von Bruce Nauman aus dem Jahr 1994.

© Konrad Fischer Galerie / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

US-Künstlerstar Bruce Nauman stellt in Berlin aus: Wenn Hände tanzen

Zeichen, Gesten, Spuren des Menschseins: Bruce Nauman in der Konrad Fischer Galerie.

Live or Die", das ist hier die Frage, die in blutroten Buchstaben mit dem Finger auf Papier geschrieben steht. Fast könnte man die Lithografie übersehen, die im Treppenhaus des Kreuzberger Umformwerks hängt, wo sich seit 2018 die Berliner Dependance der traditionsreichen Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer befindet. Es ist die ganz große Frage, die hier so beiläufig wie elementar in einem Nebenraum und über dem Gesamtwerk von Bruce Nauman steht, dem die Galerie seine 18. Einzelausstellung seit 1968 widmet.

Der fundamentale Gestus der Hand- Schrift ist auch der Ausgangspunkt seiner neuen 2D-s/w-Videoinstallation „Practice“, die namensgebend im Zentrum steht und in Berlin Premiere feiertIm abgedunkelten Raum des doppelgeschossigen Industriebaus schauen und hören wir der leinwandfüllenden Hand des Künstlers zu, die mit dem Zeigefinger in diagonalen Bahnen langsam über einen alten Holztisch fährt. Die Hand ist von den Spuren des Alters wieder Arbeit gezeichnet, ebenso der Tisch, der durch die Kameraführung hin und her zu schwanken scheint..

Wie ein meditatives Exerzitium vollzieht der 80-jährige Großmeister seine künstlerische Praxis im unermüdlichen Üben. Er knüpft damit an seine frühesten Videos an, in denen er mit dem eigenen Körper den Raum des Menschseins zu vermessen sucht, ob stampfend, fallend, liegend oder im Kontraposten- Hüftschwung. Auch Richard Serras frühe Videos von 1968 „Hand catching Lead“ und „Hands Scraping“ kommen in Erinnerung und lassen den experimentellen Geist der Anfangsjahre amerikanischer Konzeptkunst wiederauferstehen. Eine Mischung aus Coolness und Archaik, bei der es ums Ganze geht, ohne je pathetisch oder dogmatisch zu sein.

Hintergrund für die Videoinstallation ist eine Abbildung, die Nauman im Ausstellungskatalog „Reservation X: The Power of Place“ über zeitgenössische Kunst amerikanischer Ureinwohner gefunden hat.Sie zeigt einen Vertrag zwischen der kanadischen Regierung und Isapo-Muxika, Häuptling der Sisika, der auch als Blackfoot bekannt ist. Während der Repräsentant der Regierung mit Namen unterschrieb, unterzeichnete der Häuptling mit einem X. „His mark“ wird zum sichtbaren Zeichen von Ungleichheit, die immer schon die Gefahr der Ausbeutung und Unterdrückung birgt.

Sofort leuchtet ein, was den Universalkünstler Nauman, der seit über 30 Jahren fernab des Kunstbetriebs auf seiner Ranch in New Mexico lebt, an diesem Bild fasziniert haben muss. Denn mit dem X-Zeichen ist sowohl ein Akt des Markierens wie des Auslöschens bezeichnet, eine Gleichzeitigkeit von Präsenz und Absenz, die im rituellen Vollzug die Feierlichkeit eines Requiems ausstrahlt. Dazu tragen auch die schabenden und schleifenden Geräusche des Fingers bei, die den ganzen Raum erfüllen.

Seit jeher nutzt Bruce Nauman die eigenen Hände und den eigenen Körper als Ausdrucksmittel seiner Kunst. Entsprechend finden sich drei Bronzegüsse von Händepaaren, die sich spiegelbildlich und freischwebend wie tanzende Paare aufeinander beziehen, in der Mitte des zweiten Ausstellungsgeschosses. In der Berührung wird die elementare Funktion des Begreifens anschaulich.

Die tanzenden Händepaare sind auf beiden Ebenen von einer exquisiten Auswahl von Druckgrafiken umgeben, die größtenteils aus dem Atelier des Künstlers stammen und Möglichkeiten der Körper- und Zeichensprache variieren. Auf der unteren Ebene zentral gehängt zwei Lithografien, auf denen sich zwei Figuren im Profil begegnen, die Hände zur Begrüßung oder Abwehr ausgestreckt. Auch die Grafiken variieren in unterschiedlichen Abzügen und Techniken, die für die feinen Nuancen nonverbaler Kommunikation sensibilisieren. Auf der oberen Galerieebene schauen wir dem Künstler direkt ins Gesicht, das ihm seit den 60er Jahren als Experimentierfeld für Deformationen und Verzerrungen dient. In beiden Serien, den goldfarbenen Inkjet-Prints (2006) wie den zweifarbigen Radierungen (2007), machen vergrößerte Detailausschnitte klar, dass es nicht um das Individuelle geht, sondern um den zeichenhaften Ausdruck der conditio humana.

"Ausmessung des Seins"

Neben Mimik und Gestik nutzt Nauman auch die Rhetorik zur „Ausmessung des Seins“ (Eugen Blume). Mit dem für ihn typischen Umgang mit Begriffen, Anagrammen und Wortspielen in unterschiedlichen Medien liefert er keine programmatische Aussage, sondern allenfalls „Partial Truth“ (1997). Ob als gravierte Steininschrift oder Radierung, seitenrichtig, verkehrt oder geprägt, setzt er die Strenge der Antiqua in Gegensatz zum fluiden, widersprüchlichen Begriff der Halbwahrheit. Was auf der politischen Ebene von fake news und Propaganda nicht aktueller sein könnte, betrifft auf philosophischer Ebene das Grundproblem der Kunst: Welche Form von Wahrheit oder Erkenntnis liefert sie?

Bruce Nauman hat darauf bereits in seinem Schlüsselwerk von 1967 geantwortet, nicht ohne Ironie: „The true artist helps the world by revealing mythic truth“.

Konrad Fischer Galerie, Neue Grünstraße 12, bis 27. August, Di – Sa 11 – 18 Uhr

Dorothea Zwirner

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