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Kultur: Verantragt

Opulent, asketisch: Jane Campions "Portrait of a Lady"VON SIMONE MAHRENHOLZJane Campion entwickelt sich zu einer der indiskretesten Regisseurinnen.Sie will da erwischen, wo keiner hinkommt.

Opulent, asketisch: Jane Campions "Portrait of a Lady"VON SIMONE MAHRENHOLZ

Jane Campion entwickelt sich zu einer der indiskretesten Regisseurinnen.Sie will da erwischen, wo keiner hinkommt.Sie will die Gebeine, die Eingeweide des Gegenübers.Sie probiert Impertinenz, allerdings nur so weit, wie es keiner merkt.Sie ist eine Expertin der unsichtbaren Kriegsführung - das Fadenkreuz aufs Unterbewußte gerichtet.

An ihren Kolorit-reichen Bildern sieht man das zu allerletzt.Die Strategie ist subtiler.So hört man hier in dem Moment, als der Heldin der soundsovielste Heiratsantrag gemacht wird und nun in ihren Augen der/des Richtigen, eine Art entfachtes Flammen.Im Kopf sedimentiert sich ein Geräusch, das kaum ins Bewußtsein vorstößt, weil es zur feinen Kostüm-Location in keiner Weise paßt: eine Art lautloses Auflodern.Wie ein geräuschverstärkter Gasherd.Schon weiß des Zuschauers Adrenalinspiegel, daß Malkovichs kühler Antrag bei Nicole Kidman einen unbestimmten Alarm auslöst, obwohl beide vollendet frostig gucken.Solche Tricks gibt es mehr in diesem Film: etwa ein Verlangsamen, Zeitlupe so minimal, daß man nicht weiß, ob man gerade angenehm berauscht oder ernstlich berührt ist.

Um es vorwegzunehmen: Jane Campions "Portrait of a Lady" nach dem Roman des Amerikaners Henry James ist kein Meisterwerk.Aber die Weise, in der die Arbeit mißlang, ist sehenswert.Die langatmigen Geschehnisse eines 700-Seiten-Wälzers (erschienen in neuer Übersetzung bei dtv und - mit Filmfotos illustriert - im Heyne-Verlag) werden etwas uninspiriert abgefilmt, in erlesenen, zuweilen blutarmen Bildern von strategischer Unterbelichtung.Man leidet mit der Heldin bis ins bittere, offene Ende hinein.Wenn man dies aber als gegeben nimmt und gleichsam wegstreicht wie überzählige Gleiche in Zähler und Nenner, erwartet einen spannendes Neuland - grundsätzlich da, wo man kaum hinguckt.

Dies beginnt schon beim ausführlichen Vorspann: ein Film im Film mit Gesichtern, die später nicht wiederkommen.Filmvorführer, bitte unbedingt die Tonspur laut! Also: Klänge des polnischen Komponisten Wojciech Kilar - ein dumpfes, extatisches Bad, das man je nach Temperament auch Kitsch nennen könnte.Eine geballte emotionelle Attacke, dazu Bilder von jungen Frauen, die auf einem Baum sitzend unverwandt in die Kamera gucken, welche wirbelnd um sie herum kreist nach dem Bauplan der Musik.Dem Publikum wird multi-medial der Boden unter den Füßen weggezogen wie das nur Film kann, mit einem Aufgebot an eigenwilliger Schönheit.Dieser Vorspann ist Campions Visitenkarte.Ruhig, hinreißend, ein anspruchsvoller Traum und nicht jedermanns Sache.Aus dem Off raisonnieren junge Frauen flüsternd über den exquisiten Moment vor dem Küssen.

Diesen Gesichtern folgt übergangslos das Gesicht Nicole Kidmans, Darstellerin der Heldin Isabel Archer.Alle Gesichter haben hier eine fast jungenhafte Reinheit, Nacktheit: Calvin-Klein-Ästhetik ohne die dazugehörige Leere.Sie müssen von Campion eine Art Gehirnwäsche erhalten haben, damit diese Gesichter so ausssehen: fordernd, maskenlos, uneitel.Hat man die Hollywood-Ikone Kidman in "To die for" gesehen, so grenzt dieser Ernst am Rand der Häßlichkeit an ein Wunder.Die Dreharbeiten seien vor allem eine menschliche Erfahrung gewesen, hatte Kidman geäußert.

Das englische Gardencourt, 1872.Die junge Amerikanerin Isabel Archer hat soeben den Heiratsantrag des klugen, reichen, attraktiven Lord Warburton abgelehnt.Es war nicht der erste.Begründung: sie wisse um sich und das Leben noch zu wenig, sie werde wohl nie heiraten.Ihren kränkelnden Cousin Ralph (Martin Donovan) fasziniert das freiheitsliebende Naturell der Cousine mit dem Lebensziel, vollkommen ehrlich zu sich selbst und zu anderen zu sein.Er überredet seinen Vater, ihr einen stattlichen Anteil seines Vermögens zu vermachen.Aus der Ferne will er beobachten, wie sie ihre Ideen von Freiheit, Wahrheit und ihre Neugier umsetzt.Doch passiert auf ihren Weltreisen anderes.Isabel begegnet der berechnenden Pianistin Madame Merle (Barbara Hershey), und eher als erwartet hat sie den Heiratsantrag des amerikanischen mittellosen Nichtstuers Gilbert Osmond (John Malkovich) angenommen.Erst spät realisiert sie: sie wurde Opfer einer Intrige.

Henry James veröffentlichte als Vorlage eine psychologische Studie.Unter anderem über das Wesen der menschlichen Freiheit, auch über sein Lieblingsthema: die moralische Dekadenz Europas versus die Unschuld Amerikas.Die Neuseeländerin Campion ("Das Piano") versucht, dieses aus heutiger Sicht erheiternde Bild mehr in Richtung Frauenportrait umzulenken.Daß die Umworbene ausgerechnet dem einzigen Werber erotisch verfällt, dessen Antrag nicht auf Liebe basiert, wäre allein eine Studie wert.Daß zu viel Freiheit unmenschliche Stärke erfordert, daß in der Nähe der Sonne die Flügel schmelzen, all dies wird gestreift.Zuweilen, zu selten schlägt Campion durch den wüsten, redundanten Stoff des Wälzers Schneisen.Doch es gibt Beispiele: Isabel sieht den sterbenden Onkel (der 92jährige Sir John Gieglund) im Bett an.Der gähnt zufrieden.Kein Blickwechsel, nichts.Oder Isabel, an ihren ausgezogenen Stiefeln riechend.Oder: eine Gestalt hüpft in der Dämmerung Italiens auf historischem Pflaster und bückt sich für eine Rose.Oder: zusammenklappende junge Frauen am Rande eines Balls.Oder: der weiße Rücken Isabels fällt aus dem Gesicht des Zuschauers in die Leinwand hinein.Bilder für das Erotische werdem immer gesucht, und sie sind so durchgeistigt wie die "Unschuld"-Geschichte Harold Brodskys.Daß im Film ununterbrochen geredet wird, fällt oft nicht auf, weil er von der studierten Malerin und Anthropologin sehr bildlich gedacht ist.

Zehnmal zog die Produktion zwischen England und Italien hin- und her, an alle Romanschauplätze.Das ermüdet auch den Zuschauer.Und doch: zuweilen fällt der geistesabwesende Blick der Kamera um 90 Grad verkehrt aufs Pflaster und richtet sich dann mit dem Geist des Zuschauers auf.Am Schluß steht Isabel wie am Anfang da: wütend verwundet vom neuen Antrag, mit den erschreckten Flanken eines jungen Tiers.Wir wissen nicht, was geschehen wird.Aber daß Panik und Extase für Sekunden zusammenfallen, glauben wir Campion.Ihre Mischung aus Opulenz und Askese hingegen hat nicht gezündet.

Babylon (OmU), Capitol Dahlem, Delphi, Filmbühne Wien 5, Filmtheater am Friedrichshain 1, Off

SIMONE MAHRENHOLZ

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